Urteil : Art. 17 DS-GVO gewährt Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Ende des Arbeitsverhältnisses : aus der RDV 1/2023 Seite 62 bis 63
(LAG Hamm, Urteil vom 13. September 2022 – 6 Sa 87/22 –)
- Ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung nach Ende des Arbeitsverhältnisses ergibt sich als Fall der Löschung aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO, wenn Rechtsstreitigkeiten abgeschlossen bzw. nicht mehr zu erwarten sind.
- Art. 17 DS-GVO verlangt nicht, die Darlegung des Klägers, dass es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung ihm noch schaden könnte.
(Nicht amtliche Leitsätze)
Aus den Gründen:
Der Anspruch auf Entfernung als Fall der Löschung ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. […]
Unter Personalakten im formellen Sinn sind diejenigen Schriftstücke und Unterlagen zu verstehen, welche der Arbeitgeber als „Personalakte“ führt und die diesen als Bei-, Neben- oder Sonderakten zugeordnet sind. Derartige Aktenbestände sind äußerlich erkennbar in Ordnern, Heftern oder Blattsammlungen geführt, entsprechend gekennzeichnet und nach der Art ihrer Registrierung oder Aufbewahrung als zueinander gehörend bestimmbar. In der Personalakte werden personenbezogene Daten strukturiert gesammelt und nach bestimmten Kriterien zugänglich gemacht (vgl. Gola, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 4, Rn. 43 – 47, anderer Ansicht: LAG Sachsen, 14.01.2014, 1 Sa 266/13, juris, Rn. 29 unter Bezugnahme auf BAG 16.11.2010 – 9 AZR 572/09 -, juris, Rn. 25, 26).
Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beklagte noch ein Interesse an einem Beibehalt des Abmahnungsschreibens in der Personalakte des Klägers hat. Mit einer Abmahnung übt ein Arbeitgeber sein arbeitsvertragliches Gläubigerrecht in doppelter Hinsicht aus. Zum einen weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragsgetreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (BAG 19.07.2012 – 2 AZR 782/11, juris, Rn. 20). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Warnfunktion entfallen. Hinsichtlich der Rüge- und Dokumentationsfunktion könnte sich noch ein Interesse am Erhalt der Abmahnung für den Arbeitgeber ergeben, soweit dies zur Abwehr von etwaigen Ansprüchen des Arbeitnehmers oder zur Begründung eigener Ansprüche gegen den Arbeitnehmer erforderlich erscheint.
Im vorliegenden Fall sind solche Gründe nicht gegeben. Zwischen den Parteien bestehen keine weiteren arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen, bei denen es für die Beklagte erforderlich sein könnte, die Abmahnung vom 07.04.2021 noch heranzuziehen. Der Rechtsstreit über die vom Kläger begehrte Zeugnisberichtigung ist durch Schlussurteil des Arbeitsgerichts Herford vom 03.05.2022 rechtskräftig entschieden.
Schadensersatzansprüche auf Grund des von der Beklagten gerügten Fehlverhaltens des Klägers sind weder ersichtlich noch werden sie von der Beklagten geltend gemacht. […]
Das Recht auf Löschen in der Form der Entfernung der Abmahnung wird nicht durch § 35 BDSG eingeschränkt. Insbesondere ist die Entfernung der Abmahnung mit keinerlei Aufwand für die Beklagte verbunden.
Der Anspruch des Klägers auf Löschung in Form der Entfernung der Abmahnung wird auch nicht wegen § 26 BDSG (Art. 80 DS-GVO) ausgeschlossen oder beschränkt. § 26 BDSG steht unter dem Kapitel 1 „Rechtsgrundlagen der Verarbeitung personenbezogener Daten“ in dessen Abschnitt 2 „Besondere Verarbeitungssituationen“ und regelt die Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses. Unberührt hiervon bleiben die Vorschriften unter Kapitel 2 „Rechte der betroffenen Personen“ (§ 32 ff. BDSG).
Art. 17 DS-GVO verlangt nicht die Darlegung des Klägers, dass es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung ihm noch schaden könnte. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hierzu bezieht sich auf einen Anspruch auf Entfernung von Abmahnungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 17.11.2016 (2 AZR 730/15, juris, Rn. 46, 47) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger im dortigen Fall einen Anspruch auf Löschung von in den Abmahnungen enthaltenen personenbezogenen Daten nach § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BDSG a. F., nicht geltend gemacht hat (BAG 17.11.2016, juris, Rn. 46., vgl. auch Brink, Anmerkung zu Landesarbeitsgericht Mainz vom 12.12.2012 – 8 Sa 379/12 -, juris, PR-ArbR 36/2013; Rademacher, AoA, 2018, 94 ff.).