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Urteil : Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten bei einem Rechtsstreit um Datenschutz eines Angestellten der Erzdiözese : aus der RDV 6/2020, Seite 342 bis 343

(Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 29. Mai 2020 – 8 Ta 36/20 –)

Rechtsprechung
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Bei einem Rechtsstreit eines bei der Erzdiözese im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages angestellten Arbeitnehmers auf Schadensersatz wegen Verstößen gegen das kirchliche Datenschutzgesetz (KDG) ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben und nicht zu den nach KDSGO errichteten interdiözesanen Datenschutzgerichten.

Aus den Gründen:

Für eine Klage auf Schadensersatz aufgrund eines Datenschutzrechtsverstoßes sind im Rahmen eines privat-rechtlichen Arbeitsverhältnisses auch mit der Kirche die Arbeitsgerichte ausschließlich und nicht das kirchliche Interdiözesane Datenschutzgericht zuständig. Die ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte und damit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten kann nicht durch kirchliches Recht abgeändert werden.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis

aa) Soweit die Kirchen die Dienstverhältnisse ihrer Beschäftigten weder im Rahmen öffentlich-rechtlicher Grundsätze ordnet noch die geistigen Amtsträger entsprechend ihres Amtes beschäftigt noch eine Tätigkeit von Ordensangehörigen in kirchlichen Einrichtungen vorliegt, kommt das jeweilige Arbeitsverhältnis durch einen privatrechtlichen Arbeitsvertrag zustande. Die Kirche ist somit Arbeitgeber im Sinne des § 2 ArbGG.

bb) Diese ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis kann nach § 4 ArbGG nur nach Maßgabe der §§ 101 – 110 ArbGG ausgeschlossen werden.

Die Verfassung garantiert die Schiedsgerichtsbarkeit in gleichem Umfange wie die Privatautonomie. Grundsätzlich gestattet das Grundgesetz neben der staatlichen Rechtsprechung auch eine gleichwertige private Rechtsprechung. Dieser Grundsatz wird durch § 4 eingeschränkt. Nur noch für das in den §§ 101 – 110 ArbGG geregelte Schiedsverfahren findet in engen Grenzen der Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit statt. Ein außergerichtliches oder schiedsgerichtliches Vorverfahren wird von der Regel des § 4 ArbGG nicht umfasst. Regelungen im kirchlichen Bereich, nach denen im Streitfall zunächst eine innerkirchliche Schlichtungsstelle anzurufen ist, sind im Regelfall so auszulegen, dass auch ohne Anrufung der Schlichtung Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden kann. Die Interdiözesanen Datenschutzgerichte sind keine Schiedsgerichte im Sinne der §§ 101 ff.

b) Das verfassungsrechtlich gewährte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen steht der ausschließlichen Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte im Rahmen von Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis mit der Kirche nicht entgegen.

Zwar ordnet und verwaltet nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig, dies aber nur innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften umfasst grundsätzlich auch die Befugnis zur selbständigen Kontrolle des selbst gesetzten Rechts durch kircheneigene Gerichte. Die Normen des ArbGG sind jedoch Teil der für alle geltenden im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Nur bei Streitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Anwendung kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts geht, ist die Zuständigkeit staatlicher Gerichte ausgeschlossen. Dies folgt aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV und findet in § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG seinen einfach gesetzlichen Ausdruck. Insoweit hat § 3 Abs. 3 KAGO deklaratorische Bedeutung und stellt insoweit lediglich klar, dass für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen nicht gegeben ist, da die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für diese Streitigkeiten aus einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis durch Kirchenrecht gerade nicht ausgeschlossen werden kann. Bei Rechtsstreitigkeiten aus einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis sind die Normen des ArbGG auch für die Kirchen verbindlich. Die staatlichen Gerichte müssen jedoch kirchliches Recht anwenden, wenn von diesem die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt (BAG, Urteil v. 11.11.2008, Az. 1 AZR 646/07, in juris recherchiert).

c) Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für den vorliegenden Rechtsstreit auch nicht durch höherrangiges Europarecht ausgeschlossen. (wird ausgeführt)

(2) Die DS-GVO verweist somit bezüglich der sachlichen Zuständigkeit bzw. bezüglich des Rechtswegs auf die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates. Das in der DS-GVO den Kirchen gewährte Recht, ihren Datenschutz umfassend innerhalb kirchenrechtlicher Vorschriften zu regeln, d.h. von ihrer Rechtssetzungsbefugnis zum Erlass von materiell-rechtlichen Spezialvorschriften im Rahmen des Datenschutzes Gebrauch zu machen, umfasst nicht die Befugnis, eine nach staatlichem Recht vorgeschriebene ausschließliche Zuständigkeit einer Gerichtsbarkeit zugunsten einer eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit auszuschließen.

Die in § 2 KDSGO geregelte sachliche Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Datenschutzangelegenheiten für gerichtliche Rechtsbehelfe des betroffenen Arbeitnehmers gegen den Verantwortlichen kann somit nur Rechtsstreitigkeiten betreffen, für die nach nationalem Recht keine anderweitige ausschließliche Gerichtsbarkeit gegeben ist. Für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, hier mögliche Schadensersatzansprüche aufgrund Datenschutzverstößen im Rahmen eines BEM, bleibt die ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit, nämlich der Arbeitsgerichtsbarkeit unberührt.

(3) Die Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte für Klagen eines Arbeitnehmers auf Schadensersatz nach § 50 KDG ergibt sich nach Ansicht des Beschwerdegerichtes jedoch insbesondere aus den Regelungen der KDSGO.

So kann nach § 14 Abs. 2 KDSGO das Interdiözesane Datenschutzgericht lediglich erkennen auf Verwerfung des Antrages als unzulässig, Zurückweisung des Antrages als unbegründet oder Feststellung des Vorliegens und Umfangs einer Daten schutzverletzung. Das Interdiözesane Datenschutzgericht kann bei Begründetheit des Antrages somit nicht über einen bezifferten Schadensersatzanspruch im Rahmen einer Leistungsklage entscheiden. Darüber hinaus unterliegen kirchengerichtliche Entscheidung im Gegensatz zu staatlichen Entscheidungen nicht der Zwangsvollstreckung. Sie stellen keine Vollstreckungstitel im Sinne der §§ 704, 794 ZPO dar.

Aus alledem ergibt sich nach Ansicht des Beschwerdegerichts, dass für den vorliegenden Rechtsstreit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist.

d) Zu beachten ist dabei jedoch, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren Bescheide der kirchlichen Datenschutzaufsicht mit Tatbestandswirkung zu berücksichtigen sind und Urteile der kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit betreffend die Feststellung von Datenschutzverstößen im arbeitsgerichtlichen Verfahren Rechtskraftwirkung zukommt. In einem individualarbeitsrechtlichen Verfahren, bei dem es um eine Verletzung kirchlicher datenschutzrechtlicher Vorschriften geht, z.B. in einem Kündigungsschutzverfahren oder einer Klage gegen eine Abmahnung oder – wie hier – einer Klage auf Schadensersatz, könnte sich die Frage stellen, ob wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen wäre. Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Prozesses bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Hier sind entscheidend die Umstände des Einzelfalls. Dies, da im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 148 ZPO gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung – einander widersprechender Entscheidung zu verhindern – insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen sind. Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Voraussetzungen zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (Dr. T. R. in „Die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren“, NZA 2020, 616 ff.). Wird im Falle eines bei staatlichen Arbeitsgerichten eingeleitetem Verfahren, in dem die Verletzung kirchlicher datenschutzrechtlicher Vorschriften eine Rolle spielen, ein paralleles Verfahren bei der kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit nicht eingeleitet, dann kann und muss das staatliche Arbeitsgericht die Frage einer datenschutzrechtlichen Pflichtverletzung am Maßstab des kirchlichen Rechts und unter Beachtung des verfassungsrechtlich limitierten Einklangsgebots des Art. 91 DS-GVO prüfen (Dr. T. R. in „Die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren“, VI. Zusammenfassung, NZA 2020, 616 ff.).