Aufsatz : Freibier für alle? : aus der RDV 3/2024, Seite 150-154
Ein kritischer Kurzbeitrag zur EDSA-Stellungnahme 08/2024 in Sachen Pay or Okay
Wer hin und wieder im Internet unterwegs ist, dem wird auf den (zunehmend lästigen, aber regulatorisch abverlangten) Cookie-Bannern der Websites eine Neuerung aufgefallen sein: Immer häufiger wird einem als Alternative zur Einwilligung in die personenbezogene Datenverarbeitung ein sogenanntes PUR-Abo von den Websitebetreibern angeboten. Diese auch unter „Pay or Okay“ oder „Pay or Consent“ bekannten Finanzierungsmodelle eröffnen den Besuchern der Website die Wahl zwischen einer werbefinanzierten Nutzung des digitalen Angebots unter Zustimmung der personenbezogenen Datenverarbeitung („Okay“) oder einer werbewirtschaftlich trackingfreien Nutzung gegen Entgelt („Pay“). Der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) hat am 17.04.2024 eine Stellungnahme gem. Art. 64 Abs. 2 DS-GVO zur Rechtskonformität dieser Modelle veröffentlicht. Diese soll analysiert, bewertet und auf ihre weiteren Folgen untersucht werden.
I. Inhalt der Stellungnahme
Zusammenfassend konstatiert der EDSA, dass „für große Online-Plattformen“ das binäre Angebot eines PUR-Modells „in den meisten Fällen“ nicht den Anforderungen an eine rechtsgültige Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO erfüllen wird. Dies wirft regulatorisch zweierlei auf:
- Große Online-Plattformen
Einerseits wird der persönliche Anwendungsbereich dieser Stellungnahme auf ein Rechtskonstrukt beschränkt, welches der DS-GVO grundsätzlich sachfremd ist: große Online-Plattformen (LOP).[1]Der EDSA bestimmt diese durch eine nicht abschließende Indizienliste, die im Einzelfall auf das Vorliegen einer LOP hindeuten soll.[2] Hierbei werden die (große) Anzahl der Websitebesucher, die Stellung des Unternehmens auf dem Markt oder der Umfang der Verarbeitungsvorgänge i.S.v. ErwG 91 DS-GVO exemplarisch aufgezählt. Als wichtigen Anhaltspunkt wird zudem die Einordnung des Verantwortlichen als „sehr große Online-Plattform“ (VLOG) i.S.d. DSA oder als „Torwächter“ i.S.d. DMA genannt. Betroffen ist damit – wenn auch nicht namentlich genannt – das PUR-Angebot der MetaPlattformen Facebook und Instagram.
- Freiwilligkeit der Einwilligung
Andererseits suggeriert der EDSA durch die Verwendung des Temporaladverbials „in den meisten Fällen“, dass das Unwirksamkeitsverdikt für Einwilligungen im binären PURModell der LOP nicht absolut gilt. Die Stellungnahme nennt hierbei mehrere – nicht abschließende sowie einzelfallbezogene – Anforderungen, an denen PUR-Modelle von den Datenschutzbehörden zu messen seien. Besonderes Augenmerk wird dabei auf der Freiwilligkeit der Einwilligung zur Datenverarbeitung gem. Art. 4 Nr. 11 Var. 1 DS-GVO gelegt.[3] Das Kriterium der Freiwilligkeit wurde in einer vorausgehenden Leitlinie dahingehend definiert, dass die betroffene Person eine echte Wahlmöglichkeit und Kontrolle über die betreffenden personenbezogenen Daten besitzen soll.[4] Der EDSA hat dies anhand von vier nicht abschließenden Indizien bewertet.[5] Dieser Ansatz bildet auch die Grundlage für die Bewertung von Pay or Okay:
a) Machtungleichgewicht
So bestimmt der EDSA im Merkmal des Machtungleichgewichts zwischen betroffener Person und Verantwortlichen einen wichtigen Bewertungsfaktor für die Freiwilligkeit der Einwilligung. Dieses aus ErwG 43 bekannte Kriterium wird laut der Stellungnahme unter anderem anhand der (wettbewerbsrechtlichen[6]) Stellung des Unternehmens auf dem Markt geprüft – ein zuvor schon bekanntes Indiz für das grundsätzliche Vorliegen einer LOP. Maßgeblich hierfür sei, ob die betroffene Person anhand der unternehmerischen Marktstellung den subjektiven Eindruck bekommt, dass ihm „keine anderen realistischen Alternativdienste zur Verfügung stehen“.[7] Als Beispiele werden Video-Sharing-Plattformen oder Bewerbungsportale aufgezählt, die ein solches datenschutzrechtliches USP aufweisen könnten. Auch das (Ziel-) Publikum der Plattform oder die Abhängigkeit von der digitalen Dienstleistung, wie in Fragen der Berufssuche oder den Zugang zu wichtigen Nachrichten, würden eine wichtige Rolle in der Feststellung des Machtungleichgewichts spielen.[8]
b) Datenschutzrechtlicher Nachteil
Eng im Zusammenhang damit steht das datenschutzrechtliche Postulat der DS-GVO, dass die betroffene Person in der Lage sein muss, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne hieraus Nachteile zu erleiden, ErwG 42 DS-GVO a.E. Der EDSA konstatiert hierbei, dass im Falle von Pay or Okay Modellen, der Nutzer, der seine Zustimmung zur (werberelevanten) Datenverarbeitung verweigert, die Dienstleistung entweder gegen Entgelt in Anspruch nehmen oder ganz auf sie verzichten müsse.[9]Dieser datenschutzrechtliche „Nachteil“ würde zusätzlich durch die besondere Stellung der LOP verstärkt werden, die aufgrund ihrer Netzwerk- und Lock-in-Effekte inzwischen unverzichtbar für den gesellschaftlichen Alltag der Nutzer geworden seien.[10] Dabei verweist der EDSA vor allem auf bedeutende Nachrichtendienste oder etablierte Social Media-Plattformen.
c) Konditionalität
In Abweichung davon liefert der EDSA mit der Konditionalität der Einwilligung ein Positivkriterium für die Bewertung der PUR-Modelle bei LOPs, welches im Kern eine „echte Wahlmöglichkeit“ für den Nutzer bei der Einwilligung zur personenbezogenen Datenverarbeitung für (u.a.) Werbezwecken fordert.[11] Mit Bezugnahme auf die Bundeskartellamt-Entscheidung des EuGH stellt der EDSA fest, dass eine solche Wahlmöglichkeit für den Nutzer gewahrt werden kann, wenn „gegebenenfalls gegen ein angemessenes Entgelt, eine gleichwertige Alternative angeboten wird, die nicht mit solchen Datenverarbeitungsvorgängen einhergeht“[12] – id est Pay or Okay. Hierbei soll es sich laut Stellungnahme hauptsächlich um eine Präzisierung des Konditionalitäts-Kriteriums für LOPs handeln.[13]
Daraus folgert der EDSA, dass es sich einerseits um eine „gleichwertige Alternative“ handeln müsse, die sowohl funktionell gleichwertig[14] sei, als auch eine Datenverarbeitung zu Zwecken der personalisierten Werbung unterlasse. [15] Andererseits wird der EuGH in seiner Aussage „gegebenenfalls gegen ein angemessenes Entgelt“ so verstanden, dass nicht nur die Angemessenheit des PUR-Preisschilds, sondern auch das Angebot einer entgeltlichen Alternative als solche Gegenstand der datenschutzrechtlichen Konditionalitätsprüfung sein soll. [16] Pay or Okay soll die betroffenen Personen nicht zu einer Einwilligung in die personenbezogene Datenverarbeitung drängen – wobei der Treu und Glaube-, sowie der Rechenschaftspflicht-Grundsatz nach Art. 5 DS-GVO als wichtigen Maßstab dienen würde.[17]
d) Granularität
Letztlich müsse sich die Freiwilligkeit der Einwilligung in den PUR-Modellen der LOPs auch an ihrer Granularität messen lassen. Nach ErwG 43 muss der betroffenen Person die Möglichkeit eingeräumt werden, zu den verschiedenen Datenverarbeitungsvorgängen des Verantwortlichen gesondert und zweckabhängig eine Einwilligung erteilen zu können.[18] In den PUR-Modellen der LOPs, einschließlich des Angebots einer werbefinanzierten, entgeltfreien Nutzung, solle es dem Nutzer daher freistehen, der Datenverarbeitung für die verschiedenen Zwecke jeweils zuzustimmen oder sie abzulehnen, sei es für die Personalisierung von Inhalten oder für werbliche Zwecke.[19]
e) Zwischenergebnis
Folglich zeige sich schon an dem Freiwilligkeitskriterium der Einwilligung, dass sich die PUR-Modelle der LOPs „in den meisten Fällen“ nicht mit dem geltenden Recht (ausgelegt durch den EDSA) vereinbaren lassen können. Dies liege einerseits an der marktbeherrschenden Stellung und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Dienstleistungen und andererseits an der inhärenten Problematik der „echten Wahl“ bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu Werbezwecken in den PUR-Modellen.
Diese Aussage unterstützt der EDSA mit den weiteren Anforderungen einer für einen bestimmten Fall, in informierter und unmissverständlicher Weise abgegebenen Einwilligung nach Art. 4 Nr. 11 DS-GVO – allesamt erneut auf die Unwirksamkeit der Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO bei den PUR-Modellen der LOPs hindeutend.
- Lösungsvorschlag: Die dritte Option
Demgegenüber liefert der EDSA – der eigentlichen Rechtsauslegung vorangestellt – auch einen eigenen Lösungsvorschlag für die grundsätzliche Unzulässigkeit der PUR-Modelle bei LOPs. Positiv formuliert seien PUR-Modelle „in den meisten Fällen“ bei LOPs zulässig, wenn dem Nutzer zusätzlich eine dritte Option angeboten würde: Die Bereitstellung einer kostenlosen Alternative ohne verhaltensbezogene Werbung.[20] Das binäre Pay or Okay-System soll damit durch eine dritte, entgeltfreie Wahlmöglichkeit komplementiert werden, die völlig ohne Datenverarbeitung zu Zwecken der personalisierten Werbung auskommt und „beispielsweise eine Version des Angebots mit einer anderen Form der Werbung sein kann, bei der weniger (oder keine) personenbezogenen Daten verarbeitet werden.“[21] Die Stellungnahme bezieht sich hierbei vor allem auf kontextualisierte Werbung oder auf Werbeangebote, die auf eine vom Nutzer selbst ausgewählte Interessenpräferenz basieren.
II. Bewertung der Stellungnahme
Letztgenannter Lösungsvorschlag sowie die Stellungnahme des EDSA in ihrer Gesamtheit stieß in der Digitalwirtschaft auf viel Verwunderung – zurecht: Es bricht mit geltendem europäischen Recht, führt zu ultra vires-Entscheidungen und postuliert ein Narrativ, das sich mit den europäischen Grundfreiheiten des Binnenmarkts nicht vereinbaren lässt.
- Bruch mit der Bundeskartellamt-Entscheidung des EuGH
Gem. Art. 70 Abs. 1 DS-GVO obliegt es dem EDSA, die einheitliche Anwendung der DS-GVO zu gewährleisten. Hierfür kann er nach Art. 64 Abs. 2 i.V.m. Art. 70 Abs. 1 lit. t) DS-GVO auf Antrag eine Stellungnahme zu Fragen von allgemeiner Bedeutung abgeben. Dies umfasst dabei auch (offene) Rechtsfragen zur Auslegung der DS-GVO.[22] Bezüglich der Frage zur Zulässigkeit von Pay or Okay hat sich der EuGH in seiner Bundeskartellamt-Entscheidung jedoch schon geäußert – dies erkannte auch der EDSA, jedoch mit einer fragwürdigen Interpretation.
Der EuGH wurde im zugrunde liegenden Vorabentscheidungsverfahren u.a. gefragt, ob gegenüber einem marktbeherrschenden Unternehmen – und damit unter Umständen gegenüber einer LOP – eine wirksame Einwilligung erklärt werden kann.[23] Das oberste europäische Gericht wertete die beherrschende Stellung des Verantwortlichen auf dem Markt zwar nicht als Ausschlusskriterium für die Wirksamkeit, jedoch als möglichen Störfaktor für die Freiwilligkeit der Einwilligung.[24] Daraus folgerte der EuGH, dass zur Wahrung der Wahlfreiheit des Nutzers dieser die Möglichkeit haben muss, die Einwilligung in bestimmte, nicht erforderliche Datenverarbeitungsvorgänge zu verweigern, ohne jedoch von der Nutzung des Dienstes ausgeschlossen zu werden. Dies kann durch das Angebot einer gleichwertigen, trackingfreien Alternative gewährleistet werden, die gegebenenfalls gegen ein angemessenes Entgelt angeboten werden kann.[25]
Der EuGH sieht daher das Angebot einer trackingfreien Nutzungsalternative gegen Entgelt nicht als Einschränkung der Wahlfreiheit des Nutzers, sondern als das was es letztlich auch ist: Eine weitere Möglichkeit zur Benutzung der Internetleistung des Anbieters.[26] Pay or Okay fördert durch das Bereitstellen einer trackingfreien Alternative die Freiwilligkeit der Einwilligung in die Datenverarbeitung und beschränkt diese somit gerade nicht.[27] Folglich kann es sich bezüglich der grundsätzlichen Zulässigkeit von PUR-Modellen bei LOPs bzw. marktbeherrschenden Unternehmen um keine Angelegenheit mit allgemeiner Geltung i.S.v. Art. 64 Abs. 2 DS-GVO handeln – dies wurde letztinstanzlich durch den EuGH affirmativ entschieden. Stattdessen wäre die Frage der Implementierung von PUR-Modellen eine solche, deren Beantwortung zur einheitlichen Anwendung der DS-GVO erforderlich gewesen wäre. In dieser Hinsicht hielt sich der EDSA jedoch zurück, wie beispielsweise bei der Festlegung von Leitlinien für ein „angemessenes Entgelt“ im Rahmen der PUR-Modelle.
- Ultra vires-Eingriff in die Digitalwirtschaft
Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass der EDSA einen beträchtlichen Aufwand in die Begründung seiner Entscheidungskompetenz investiert, anstatt das Entgeltkriterium bei Pay or Okay anhand eindeutiger Merkmale zu präzisieren.[28] Dabei sieht der EDSA die nationalen Aufsichtsbehörden dazu befähigt, im Falle einer unwirksamen Einwilligung aufgrund unangemessener Entgeltforderungen im Rahmen der PURModelle gegenüber den Anbietern einzugreifen und Abhilfemaßnahmen anzuordnen.[29] Es liegt somit im Ermessen der Aufsichtsbehörden, die von den Anbietern festgelegten Preise zu überprüfen oder zu bewerten – gegebenenfalls unter Einbeziehung von Behörden aus anderen Rechtsbereichen.[30] Die darin zu sehende Preiskontrolle der PUR-Modelle durch die nationalen Datenschutzbehörden lässt sich zwar noch mit der Bundeskartellamt-Entscheidung des EuGH in Einklang bringen,[31] etwas anderes gilt jedoch für das (faktische) Erfordernis einer dritten Option zur Rechtskonformität der PUR-Modelle bei LOPs. Der EDSA bringt seine nationalen Aufsichtsbehörden hierbei in einen freiheitlichen Eingriffsbereich, in dem ihre Entscheidungskompetenzen fragwürdig sind: Es handelt sich letztlich um eine wettbewerbsrechtliche Abhilfemaßnahme bei Pay or Okay, die unter dem Deckmantel des Datenschutzrechts stattfindet. Die Aussage des EDSA, dass die dritte Option lediglich „in den meisten Fällen“ zur Zulässigkeit der PURModelle bei LOPs führe und damit einen Ermessensspielraum offen lasse, ist aufgrund der linearen Argumentation der Stellungnahme nicht überzeugend: Abhilfe schaffe bei LOPs nur die dritte Option.[32] Die Zurückhaltung der Stellungnahme in Bezug auf die Klassifizierung von LOPs anhand des wettbewerbsrechtlichen Kriteriums einer „beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt“ gem. Art. 102 AEUV ist damit auch vor dem Hintergrund dieser Kompetenzkonflikte zu verstehen.[33] Nach der Stellungnahme dient dieses Kriterium nur als Indiz für das Vorliegen des Anwendungsbereichs und trägt somit zusätzlich zur Rechtsunsicherheit im Bereich des Datenschutzrechts bei.
- Divergenz mit der (marktwirtschaftlichen) Realität
All diese Unstimmigkeiten wurzeln letztlich in einem datenschutzrechtlichen Grundnarrativ, das der europäische Gesetzgeber selbst befeuert hat: Personenbezogene Daten können nicht als handelbare Ware betrachtet werden.[34] In Kontrast zu diesem formelhaft wiederholten Topos des Datenschutzrechts steht jedoch die wirtschaftliche Realität: Das Geschäftsmodell „Dienste gegen Daten“[35] tritt gerade in verschiedensten Formen in einem großen Teil des Digitalmarktes auf[36] – hierauf basiert nicht nur das Grundfundament des Internets und der sich darin widerspiegelnden „free of charge“- Mentalität der Nutzer, sondern auch die wirtschaftliche Bestätigungsfreiheit der Unternehmen gem. Art. 16 EU-GRCh.[37]
Die von dem EDSA vorgeschlagene dritte Option, welche ursprünglich in der gescheiterten Cookie-Pledge-Initative der EU-Kommission geboren wurde, fordert die LOP-Anbieter von Pay or Okay nun auf, ihren Service den Nutzern auch kostenfrei und ohne verhaltensbezogene Werbung bereitzustellen – ein drittes Finanzierungsmodell ohne Finanzierungsmöglichkeit: Der Verweis auf die Möglichkeit kontextualisierter oder choice-based Werbung scheint wie ein Danaergeschenk für die Werbewirtschaft; sie ist weder nutzerfreundlich, noch sehr attraktiv für Werbebetreibende.[38] Es kommt daher letztlich durch die Verpflichtung zur dritten Option zu einem entgeltfreien Kontrahierungs- und Lieferzwang für LOPs, die ihr Angebot im Rahmen ihrer PURModelle ohne wirtschaftsrelevante Gegenleistung den Internetnutzern zur Verfügung stellen müssen.[39]
Le coup de grâce für die dritte Option ist damit in der DS-GVO selbst verankert. Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ist nach ErwG 4 DS-GVO kein absolutes Recht, sondern muss unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch gegen die unternehmerische Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer abgewogen werden. Die Wahl des Geschäfts- und Finanzierungsmodells ist gerade von dieser unternehmerischen Grundfreiheit gedeckt.[40] Eine Verpflichtung zur kostenlosen Bereitstellung des Internetangebots ohne jegliche Möglichkeit der Re-Finanzierung für die Publisher widerspricht diesem grundlegenden Prinzip des europäischen Datenschutzrechts[41] – und ist daher abzulehnen.
III. Folgen der Stellungnahme
In einem weiterführenden Schritt stellt sich die Frage, ob die hier angeführten Erwägungen der Entscheidung zu LOPs induktiv auf die generelle Zulässigkeit von Pay or Okay übertragbar sind. Hierfür führt der EDSA selbst aus, dass „einige der in dieser Stellungnahme angestellten Überlegungen (…) sich generell als nützlich für die Anwendung des Konzepts“ erweisen können.[42] Denkbar wäre dies vor allem mit Blick auf die Granularität der Einwilligung: Danach müsse es laut EDSA dem Nutzer für jedes angebotene Modell freistehen, der Datenverarbeitung für die verschiedenen Zwecke jeweils zuzustimmen oder sie abzulehnen. Hat er folglich auch in der werbefinanzierten Okay-Option die Möglichkeit seine Zustimmung zur personenbezogenen Datenverarbeitung für werbliche Zwecke abzulehnen, so wird dieses Finanzierungsmodell ausgehöhlt.[43] PUR-Modelle würden damit letztlich zu bloßen Spendenmodellen verkommen.
Zu einem Spill-Over-Effekt könnte es jedoch auch aufgrund der Konturlosigkeit des persönlichen Anwendungsbereichs der Stellungnahme bzgl. „großen Online-Plattformen“ kommen. Diese sind einzelfallabhängig anhand einer nicht abschließenden Indizienliste zu ermitteln. Wichtige Kriterien sind dazu die Anzahl der Nutzer und die Stellung der Plattform auf dem Markt – letzteres dient (de lege artis etwas holprig) auch als Bewertungskriterium für das angebotene PUR-Modell selbst. Um dies festzustellen, wird geprüft, ob – nach subjektivem Empfinden der betroffenen Person – auf dem Markt andere realistische Alternativdienste zur Verfügung stehen.[44] Dies öffnet damit Tür und Tor für allerlei absurde Gedankenspiele: Für die Bewohner des ländlichen Niederbayerns bleibt ihre Lokalzeitung unverzichtbar, während diese den Berliner kaum berühren wird. Darüber hinaus ist der Anteil der Leserschaft vieler Lokalzeitungen im Vergleich zu ihrem Einzugsgebiet erheblich. Ist folglich das Angebot von Pay or Okay für ihre lokale Stammleserschaft unzulässig, gegenüber dem externalen Gelegenheitsbesucher dagegen möglich? Auf dem Punkt gebracht: Das EDSA-Papier schafft durch seine Konturlosigkeit keine Rechtklarheit, sondern Rechtsunsicherheit.
IV. Fazit
Der argumentative Kunstgriff des EDSA in seiner Stellungnahme zu Pay or Okay bei LOPs postuliert ein marktwirtschaftliches Narrativ, das fern jeglicher evidenzbasierter Analyse etwas verspricht, das es nicht einhalten kann: Freibier für alle – und zwar auf Kosten des Wirts. Da der Datenschutz-Mäzen EDSA jedoch die Zeche prellt, wird Meta & Co. schon bald die Verbraucher zur Kasse bitten – ohne entgeltfreie Option.
Deutlich folgenschwerer könnte das paraprohibitive Unwirksamkeitsverdikt der EDSA jedoch für die kleinen und mittelständischen Publisher wiegen. Werden die in dieser Stellungnahme angeführten Erwägungen zu Pay or Okay verallgemeinert – und dies ist nach der Anwendungspraxis von Teilen der nationalen Datenschutzbehörden durchaus denkbar –, so wären europäische KMUs, die ihre Leistungen bisher in Teilen entgeltfrei im Internet bereitgestellt haben, vor die Wahl einer gebührenpflichten Finanzierung oder einer (nicht zukunftsfähigen) Nichtfinanzierung gestellt. Mit Blick auf den Konkurrenzdruck auf den digitalen Märkten setzt dies ein fatales Zeichen für das – status quo – so barrierefreie Internet für alle und der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarkts. Eine zurechtweisende Korrektur durch den EuGH wäre nur folgerichtig.
Lorenz Eisenberger, LL.M
ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. tätig. Gleichzeitig promoviert er unter der Betreuung von Prof. Dr. Markus Würdinger (Universität Passau) zur Thematik des internationalen Zivilverfahrensrechts im digitalen Kontext.
[1] Bzgl. der Legaldefinition zu „Online-Plattformen“ verweist der EDSA (indizierend) auf Art. 3 lit. i DSA. Die Abkürzung „LOP“ steht für den englischen Begriff „Large Online Platform“.
[2] EDSA, Stellungnahme 08/2024 über gültige Einwilligungen im Rahmen von Consent or Pay Modellen implementiert von großen Online-Plattformen, angenommen am 17.04.2024, Rn. 22–28.
[3] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 66.
[4] Art.-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 15/2011 zur Definition von Einwilligung, angenommen am 13.07.2011, S. 12; EDSA, Leitlinien 05/2020 zur Einwilligung gem. Verordnung 2016/679 (Version 1.1), angenommen am 04.05.2020, Rn. 13.
[5] EDSA, Leitlinien 05/2020, Rn. 16-54.
[6] Die beherrschende Stellung des Verantwortlichen auf dem Binnenmarkt gem. Art. 102 AEUV kann hierbei als Indiz für das Mächteungleichgewicht dienen, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 102-105.
[7] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 105.
[8] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 110-111.
[9] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 84-86.
[10] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 87-92
[11] EDSA, Leitlinien 05/2020, Rn. 37. Siehe auch ErwG 42 DS-GVO a.E.
[12] EuGH, Rs. C-252/21, Rn. 150 – Bundeskartellamt
[13] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 118.
[14] Dies bedeute, dass die Alternative nicht zwangsläufig identisch sein muss (EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 122), jedoch weder eine geringere noch eine zusätzliche Funktionalität aufweisen darf (EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 125-126).
[15] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 127
[16] Dies wird aus einem terminologischen Vergleich der unterschiedlichen Sprachfassungen, in concrete dem Englischen „if necessary“ und dem französischen „le cas échéant“ gezogen, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 131-132
[17] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 134-136.
[18] Konkretisiert in EDSA, Leitlinien 05/2020, Rn. 42
[19] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 140. Siehe dazu auch die Ausführungen zur Einwilligung „für den bestimmten Fall“, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 162
[20] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 73-74.
[21] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 75.
[22] Caspar, in: Kühling/Buchner, Art. 64 DS-GVO Rn. 7b.
[23] EuGH, Rs. C-252/21, Rn. 140 – Bundeskartellamt
[24] EuGH, Rs. C-252/21, Rn. 147–149 – Bundeskartellamt
[25] EuGH, Rs. C-252/21, Rn. 150 – Bundeskartellamt
[26] Zustimmend Kühling/Sauerborn, ZfDR 2022, 339 (355–359); ebenso Metzger/Schweitzer/Wagner, ZfPW 2023, 227 (246–247); Nikol/Rost, NJW 2022, 975, Rn. 11.
[27] Anders sieht dies offenbar der EDSA, vgl. u.a. EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 73, 78, 84, 134-137.
[28] Stattdessen solle die Anforderungen an ein „angemessenes Entgelt“ einzelfallabhängig anhand der Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten, insb. dem Grundsatz von Treu und Glauben und der Rechenschaftspflicht gem. Art. 5 DS-GVO, bestimmt werden, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 133-136.
[29] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 137.
[30] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn.138
[31] Obwohl es im zugrunde liegenden Urteil primär um eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung handelt, ist anhand des klaren Erfordernisses eines „angemessenen Entgelts“ im Rahmen der Freiwilligkeitsprüfung nach Art. 4 Nr. 11 Var. 1 DS-GVO der EDSA hierbei zuzustimmen, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 133 – etwas anderes gilt jedoch für die fachliche Kompetenz der Datenschutzbehörden zu einer Preiskontrolle. Kritisch zu einer Preiskontrolle jedoch Nikol/Rost, NJW 2022, 975, Rn. 12.
[32] Vgl. dazu EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 78-81.
[33] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 105.
[34] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 130. Siehe auch ErwG 24 der Richtlinie 2019/770
[35] Zu dieser Terminologie Metzger/Schweitzer/Wagner, ZfPW 2023, 227
[36] So gerade auch der europäische Gesetzgeber, vgl. ErwG 24 der Richtlinie 2019/770.
[37] Darin ist die Preisgestaltungsfreiheit des Unternehmers zu sehen. Jene Preisgestaltungsfreiheit bestätigt in EuGH, Rs. C-213/10, Rn. 45 – F-Tex und EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 43 – Sky Österreich. Siehe dazu auch Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 16 Rn. 10.
[38] Bestes Beispiel dafür ist die niederländische Online IT-Zeitschrift „Tweakers“, die im Selbstversuch ausschließlich auf kontextualisierte Werbung umgestellt hat, dies jedoch nach 1,5 Jahren aufgrund erheblicher Verluste in ihren Werbeeinnahmen abbrechen musste, siehe zur unternehmenseigenen Ankündigung: https://tweakers.net/plan/4126/tweakers-stopt-met-trackingvrije-advertenties.html.
[39] Kühling/Sauerborn, ZfDR 2022, 339 (358, 362).
[40] Siehe auch EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 136
[41] Dies musste auch der EDSA anerkennen, verweist jedoch daraufhin auf die Stärkung der Wahlfreiheit für die betroffenen Personen, EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 76.
[42] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 31.
[43] Zustimmend Kühling/Sauerborn, ZfDR 2022, 339 (362). Kritisch zur Granularität im PUR-Modell ebenso Nikol/Rost, NJW 2022, 975, Rn. 13.
[44] EDSA, Stellungnahme 08/2024, Rn. 105.