Abo

Kurzbeitrag : Fakten für die Demokratie: Wie der „aktive Wahl-O-Mat“ die Demokratie im Netz schützen kann : aus der RDV 3/2025, Seite 143 bis 145

Der Wahl-O-Mat ist ein Instrument zur Stärkung der Demokratie. Er ermöglicht es, politische Gefühle an Fakten zu spiegeln. In der von Sozialen Netzwerken geprägten Medienwirklichkeit verpufft seine Wirkung. Wenn man seine Funktion erhalten will, muss man ihn den Rahmenbedingungen der Demokratie in der Digitalisierung anpassen. Der vorliegende Text basiert auf einem Beitrag, der am 9. Februar 2025 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist und für die RDV aktualisiert wurde.

Lesezeit 5 Min.

Wahlentscheidungen müssen nicht auf Fakten gestützt sein. Die Verfassung ermöglicht es jedem, emotionsgeladende Argumente im Wahkampf in einen Wahlimpuls umzusetzen. Mündigkeit verlangt keine Faktenchecks. Sie ist dem Souverän bedingungs- und voraussetzungslos eigen. Allerdings schuldet der demokratische Staat seinen Bürgern wirksame Instrumente, Mündigkeit auf Faktenbasis zu erwerben, um seine staatstragende Wahlentscheidung darauf fußen zu können. Wie bereits seit 2002 stand auch für die Bundestagswahl im Februar 2025 wieder ein Wahl-O-Mat zur Verfügung. Das Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung macht transparent, wo man politisch steht. Im Vorfeld der Bundestagswahl wurde es 26 Millionen Mal genutzt. Wer sich zu den sachorientierten Thesen zur Bundespolitik mit „Stimme zu“, „neutral“ oder „stimme nicht zu“ positioniert, erhält eine Auskunft über seine politische Ausrichtung. Denn für das Quiz „Wo stehe ich politisch?“ werden Inhalte der Wahlprogramme der zur Wahl stehenden Parteien in 38 Sachaussagen übersetzt. Fakten statt Gefühle lautet das Motto. Am Ende errechnet der Wahl-O-Mat die größte persönliche Übereinstimmung mit den Wahlprogrammen der Parteien. So können die Bürger bei einer selbstbestimmten Wahlentscheidung unterstützt werden. Die Idee des WahlO-Mats muss aber auf unseren Umgang mit Online-Plattformen übertragen werden. Nur so können Transparenz und Selbstbestimmung dem wachsenden Einfluss der Plattformen auf den demokratischen Meinungsbildungsprozess entgegengehalten werden. Um unter den Mechanismen Sozialer Netzwerke wirksam zu werden, muss der Wahl-O-Mat seine passive Rolle verlassen und aktiv werden. So könnte er die Nutzer von Online-Plattformen dabei unterstützen, nachzuvollziehen, welchen Hintergrund die Inhalte haben, mit denen sie interagieren.

Gefahren der Plattformen für die Demokratie erfordern zeitgemäße Regulierung

In der Medienwirklichkeit des Jahres 2025 bestimmen Online-Plattformen und ihre Mechanismen wesentliche Teile der demokratischen Meinungsbildung. Eine zeitgemäße Regulierung kann unmittelbar an der hinter den Plattformen stehenden Technologie ansetzen. In der Europäischen Union wird dieser Ansatz vornehmlich im Gesetz über Künstliche Intelligenz, der sogenannten KI-Verordnung (KI-VO), verfolgt. Seit dem 2. Februar verbietet diese einzelne KI-Praktiken. Dazu zählen bestimmte Techniken der unterschwelligen Beeinflussung und der manipulativen Ausnutzung menschlicher Schwächen, wenn sie zu erheblichen Schäden führen. Adressiert sind damit zunächst einmal Anbieter von OnlinePlattformen, die durch besonders aggressive Techniken die Verweildauer ihrer Nutzer erhöhen wollen. Ob auch das Ergebnis eines Meinungsbildungsprozesses zu einem erheblichen Schaden in diesem Sinne führen kann, wird die Zukunft zeigen. Gänzlich abwegig erscheint es nicht. Mit dem Sanktionskatalog der KI-VO steht ein Druckmittel zur Verfügung.

Zum Schutz der Demokratie ist aber ein zusätzlicher Ansatz erforderlich, der Gefahren vor deren Realisierung bekämpft. Schäden könnten durch die Schaffung von Transparenz verhindert werden. Die Idee besticht durch ihre freiheitsrechtliche Orientierung und ihr Vertrauen auf das Verantwortungsbewusstsein der Nutzer: Wer weiß, warum er bestimmte Inhalte sieht, lässt sich weniger stark beeinflussen. Schon mit dem Medienstaatsvertrag von 2021 wurden die Anbieter von Online-Plattformen als sogenannte Medienintermediäre darauf verpflichtet, die Kriterien der Zusammenstellung, Auswahl und Darstellung von Inhalten sowie ihre jeweilige Gewichtung vorzuhalten. Wie die vorgeschriebene „unmittelbare Erreichbarkeit“ dieser Informationen sichergestellt werden kann, wurde allerdings nie abschließend geklärt. In der Praxis sehen Nutzer neben einzelnen Beiträgen bisweilen einen Button mit der Aufschrift „Warum wird mir das angezeigt?“. Dies geschieht allerdings bei weitem nicht flächendeckend. Die hinter dem Button stehenden Informationen sind außerdem ernüchternd unspezifisch.

Verlockend und, wenn er gelingt, vielversprechend erscheint schließlich der Ansatz, nur noch „gute“ oder „vertrauenswürdige“ Inhalte auf den Plattformen zu dulden. Er muss aber die Frage beantworten, wer nach welchen Kriterien festlegen soll, welche Inhalte „gut“ oder „vertrauenswürdig“ sind. Der Gesetzgeber hat sich in dieser Frage in der Vergangenheit aus guten Gründen denkbar zurückhaltend gezeigt. Vielfaltsregulierung ist zwar verfassungsrechtlich geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr die Staatsferne der Medien als Korrektiv zur Seite gestellt. Sobald der Gesetzgeber über Rahmenvorgaben hinausgeht, sieht er sich aber schnell dem Vorwurf paternalistischen Staatshandelns ausgesetzt und öffnet die Tür für ein erhebliches Missbrauchspotenzial.

So funktioniert der aktive Wahl-O-Mat

Der aktive Wahl-O-Mat greift die Ansätze einer transparenten und inhaltlichen Regulierung auf und kombiniert sie. Er besteht aus einer beitragsbezogenen und einer verhaltensbezogenen Komponente.

Die beitragsbezogene Komponente des aktiven Wahl-OMat macht die Funktion „Warum wird mir das angezeigt?“ zur umfassenden Pflicht für alle großen Online-Plattformen und Suchmaschinen. Der Nutzer hat bei jedem Beitrag die Möglichkeit, unmittelbar im News-Feed, etwa durch „Drücken und Halten“ eines Beitrags ein Fenster zu öffnen, in dem ihm übersichtlich dargelegt wird, auf Grundlage welcher Kriterien der Empfehlungsalgorithmus diesen Beitrag für ihn ausgewählt hat. Die einzelnen Kriterien müssen die OnlinePlattformen schon jetzt in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen nennen. Darunter fallen etwa Inhalte, mit denen der Nutzer in der Vergangenheit interagiert oder Interessen, die er in seinem Profil hinterlegt hat.

Denkbar wäre auch, in das Fenster einen zweiten Feed zu integrieren. In diesem Parallelfeed werden dem Nutzer Beiträge angezeigt, die eine inhaltliche Übereinstimmung zum ursprünglichen Beitrag aufweisen, dabei aber nicht durch algorithmische Empfehlungssysteme vorsortiert sind. Die Datenethikkommission hat der Bundesregierung bereits 2019 empfohlen, ein Zwei-Säulen-Modell zur Regulierung algorithmischer Systeme mit Demokratierelevanz zu etablieren, das sich an den Grundzügen der Rundfunkregulierung orientiert. Auf europäischer Ebene wurde der Rat in Ansätzen umgesetzt. Große Online-Plattformen haben die Pflicht, einen Feed bereitzustellen, der nicht auf einer umfassenden Auswertung der persönlichen Daten der Nutzer basiert. Zur besseren Nutzbarkeit könnte die Bundeszentrale für politische Bildung diesen Feed in den aktiven Wahl-O-Mat integrieren.

Vervollständigt wird der aktive Wahl-O-Mat durch eine verhaltensbezogene Komponente. Es ist technisch machbar, den Nutzern wöchentliche Berichte auszustellen, vergleichbar mit den bekannten Berichten zur Bildschirmzeit von Smartphones. In den Berichten fasst der aktive WahlO-Mat die Interessen des Nutzers in der vergangenen Woche anhand der allgemeinen Kriterien des Wahl-O-Mats zusammen. Der Wahl-O-Mat wird also nicht vom Nutzer ausgefragt, sondern stellt ihm in einem Bericht diejenigen Informationen zur Verfügung, die den Online-Plattformen ohnehin vorliegen. So kann sich der Nutzer beispielsweise ein Bild davon verschaffen, ob ihm in der vergangenen Woche besonders viele Inhalte oder Ansichten einer bestimmten politischen Partei angezeigt wurden. Ob er sich auf Basis dieser Information für eine Änderung seines Wahlverhaltens entscheidet, bleibt ihm überlassen. Wichtig ist, dass die Entscheidung bei ihm liegt und nicht bei den Strukturen des Empfehlungsalgorithmus.

Auch der aktive Wahl-O-Mat wird nicht in der Lage sein, alle Probleme zu lösen, die sich im Umgang mit Online-Plattformen ergeben. Er kann aber einen Beitrag dazu leisten, die Idee eines selbstbestimmten und transparenten Meinungsbildungsprozesses ins digitale Zeitalter zu überführen und einen Beitrag zum Schutz der Demokratie im Netz leisten.

Professor Dr. Rolf Schwartmann leitet die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln und wurde 2018 in die Datenethikkommission der Bundesregierung berufen. Moritz Köhler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle und Doktorand. Der Text geht auf eine Veröffentlichung der Autoren in der F.A.S. vom 09.02.2025, S. 39 zurück.