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Urteil : Mitbestimmung bei der Regelung zur Übersendung ärztlicher Arbeitsun fähigkeitsbescheinigungen : aus der RDV 4/2018, Seite 231 bis 232

(Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juni 2017 – 60 PV 11.16 –)

Lesezeit 6 Min.

Zur Mitbestimmungspflicht bei der Weisung, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht mehr wie bisher dem Personalservice, sondern einer nicht-personalaktenführenden Stelle zu übersenden.

Sachverhalt:

Im Streit ist die Beteiligungspflicht bei der Festlegung des Adressaten ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

Aus den Gründen:

Die Beschwerde der Beteiligten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers bei der Bestimmung des Adressaten der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen festgestellt.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten unterliegt die fragliche Anweisung im Rundbrief 4/2014 des Kita-Leiters K… der Mitbestimmung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 PersVG Berlin, wonach die Personalvertretung, soweit keine Regelung durch Rechtsvorschrift oder Tarifvertrag besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen über Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Dienstkräfte mitbestimmt.

Bei der Anweisung handelt es sich um eine generelle Regelung und damit um eine Maßnahme im Sinne von § 79 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 PersVG Berlin. Unter einer Maßnahme im personalvertretungsrechtlichen Sinne ist jede Handlung oder Entscheidung zu verstehen, die den Rechtsstand der Beschäftigten berührt. Die Maßnahme muss auf eine Veränderung des bestehenden Zustandes abzielen. Nach Durchführung der Maßnahme müssen das Beschäftigungsverhältnis oder die Arbeitsbedingungen eine Änderung erfahren haben. Lediglich der Vorbereitung einer Maßnahme dienende Handlungen der Dienststelle sind, wenn sie nicht bereits die beabsichtigte Maßnahme vorwegnehmen oder unmittelbar festlegen, keine Maßnahmen (vgl. Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2010 – BVerwG 6 PB 17.10 –, juris Rn. 4, und vom 20. November 2008 – BVerwG 6 P 17.07 –, juris Rn. 40, jeweils für das Berliner Personalvertretungsgesetz, und Beschluss des erkennenden Senats vom 19. Januar 2017 – OVG 60 PV 8.16 –, juris Rn. 32).

Demnach liegt eine Maßnahme nur dann vor, wenn die Dienststelle – ausdrücklich oder konkludent – eine Handlung vornimmt. Daran fehlt es, wenn die fragliche Rechtsfolge, auf welche sich das erstrebte Mitbestimmungsrecht beziehen soll, von Rechts wegen eintritt, ohne dass es eines Ausführungsaktes der Dienststelle bedarf (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2011 – BVerwG 6 P 20.10 –, juris Rn. 13). Anders liegt es hier. Die Stelle, bei der die im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung das ärztliche Attest einzureichen ist, ist weder gesetzlich noch tarifvertraglich bestimmt.

In § 22 Abs. 1 Satz 1 TV-L ist nur die Entgeltfortzahlung als solche vorgeschrieben. Die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist dagegen in § 5 Abs. 1 Satz Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geregelt. Danach ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber bei einer Arbeitsunfähigkeit, die länger als drei Kalendertage dauert, eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Arbeitgeber im Sinne von § 5 Abs. 1 EFZG ist der Eigenbetrieb Kindergärten NordOst. Er beschäftigt nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Eigenbetriebsgesetz (EigG) „Angestellte und Arbeiter“. Wer für den Eigenbetrieb die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entgegennimmt bzw. an wen die Beschäftigten ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu übersenden haben, bedarf der Konkretisierung durch die Geschäftsleitung des Eigenbetriebs bzw. durch den von der Geschäftsleitung damit beauftragten Beschäftigten.

Die vom Leiter des Kita-Verbundes getroffene Anordnung berührt den Rechtszustand der im Verbund Beschäftigten. Sie zielt auf die Veränderung des bestehenden Zustandes ab. Mit der Anordnung wird die bisher bestehende Pflicht der Beschäftigten im Kita-Verbund „S…“, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Personalservice als der personalaktenführenden Stelle zu übersenden, dahingehend geändert, dass die Bescheinigung nunmehr stattdessen dem Leiter des Kita-Verbundes (W…) zu übersenden ist, der sie seinerseits nach Kenntnisnahme an den Personalservice weiterleitet. Die Anordnung ist verbindlich; ihre Nichtbeachtung kann für die Beschäftigten arbeitsrechtliche Nachteile zur Folge haben (Abmahnung, Verlust des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung). Der Rechtszustand der Beschäftigten ist zudem dadurch berührt, dass mit der Änderung des Adressaten der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Schutz ihrer persönlichen Daten abgesenkt wird. Anders als in der Vergangenheit erhält nicht nur die personalaktenführende Stelle, sondern zusätzlich der unmittelbare Vorgesetzte der Beschäftigten im Kita-Verbund Kenntnis u.a. vom Facharztgebiet des attestierenden Arztes (z.B. Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten). Diese Angabe zählt zu den Gesundheitsdaten, die eines besonderen Schutzes bedürfen und bei denen einiges dafür spricht, dass sie anderen Beschäftigten außer den Beschäftigten im Personalservice nicht zur Kenntnis gegeben werden dürfen. Dabei kann dahinstehen, ob sich ein solches Verbot aus den datenschutzrechtlichen Bestimmungen, aus den Regelungen über die Personalakte oder aus Verfassungsrecht ergibt. Unstreitig hat nämlich der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in seiner Stellungnahme vom 9. September 2014 gegenüber dem Antragsteller die Auffassung vertreten, dass die Kita-Leitung nicht das Recht habe, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu sehen, aus der der behandelnde Arzt ersichtlich ist. Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats kann dazu beitragen, dass nur eine solche Anordnung ergeht, für die die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind und die wegen erheblicher Belange der Dienststelle unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen der Beschäftigten gerechtfertigt ist.

Zu Recht nicht im Streit zwischen den Verfahrensbeteiligten ist, dass sich die Beteiligte die fragliche Anweisung des KitaLeiters als eigene zurechnen lassen muss, weil dieser infolge der dezentralen Organisation des Eigenbetriebs nicht nur der fachliche und disziplinarische Vorgesetzte der einzelnen Beschäftigten „seiner“ Einrichtung ist, sondern auch berechtigt ist, ihnen als gleichsam „verlängerter Arm“ Weisungen zu erteilen. Ebenso unstreitig ist, dass die Anweisung nicht nur einzelne Beschäftigte betrifft, sondern alle Beschäftigten des KitaVerbundes.

Die Anordnung stellt eine Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Dienstkräfte dar. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 PersVG Berlin bezieht sich im Sinne eines einheitlichen Mitbestimmungstatbestandes auf die Gesamtheit der allgemeinen Verhaltensregeln, die einen störungsfreien und reibungslosen Ablauf des Lebens in der Dienststelle gewährleisten sollen. Dagegen erstreckt sich die Bestimmung nicht auf dasjenige Verhalten, das im Hinblick auf die zu erfüllenden Aufgaben Gegenstand der jeweiligen individuellen Dienst- oder Vertragspflichten ist, also mit der zu erbringenden Arbeitsleistung in unmittelbarem Zusammenhang steht. Geben Regelungen sowohl das allgemeine dienstliche Verhalten als auch die Art und Weise der Dienstausübung vor, so ist die Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit danach zu beantworten, welcher Regelungsbereich unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten im Vordergrund steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vgl. Beschlüsse vom 28. Juli 2006 – BVerwG 6 P 3.06 –, juris Rn. 12, und vom 20. Mai 2010 – BVerwG 6 PB 3.10 –, juris Rn. 4, jeweils zur wortgleichen Regelung in § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG; vgl. auch Beschluss des erkennenden Senats vom 29. September 2016 – OVG 60 PV 10.15 –, juris Rn. 25).

Die Bestimmung des Empfängers der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung regelt Ordnung und Verhalten in der Dienststelle, indem sie vorgibt, wie die Beschäftigten im Falle einer drei Tage überschreitenden Erkrankung mit der ärztlichen Krankschreibung zu verfahren haben. Dies steht mit der Erfüllung der Arbeitsaufgabe der Beschäftigten in der Kita nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Deren Aufgaben der Versorgung, Betreuung und Förderung der Kinder lässt sich zweifellos auch erfüllen, wenn das Attest – wie bisher – an den Personalservice geht.

Es mag sein, dass sich die Dienstaufgabe für die Kita-Leitung leichter erfüllen lässt, wenn das Attest zuerst zu ihr gelangt und sie darauf sofort reagieren kann. Abgesehen davon, dass es auf die Erfüllung ihrer Arbeitsaufgabe hier nicht ankommt, ist der vorrangige Eingang der Krankschreibungen bei ihr zur Erfüllung ihrer Arbeitsaufgabe ebenfalls nicht erforderlich. Das Attest hat nur Nachweisfunktion; Beginn und Dauer der zu erwartenden Fehlzeit haben die Beschäftigten ohnehin der Kita-Leitung fernmündlich oder per E-Mail bekannt zu geben, sodass dort zeitnah die Vertretung geregelt werden kann. Abgesehen davon war der Grund für die Änderung nach der Angabe der Kita-Leitung in der fraglichen Anweisung überdies ein anderer: Danach wollte die Kita-Leitung nur deshalb als erste Kenntnis vom Inhalt der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekommen, um ihrer Informationspflicht gegenüber dem Personalservice nachkommen zu können. In diesem Fall läge es aber erst recht nahe, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt an den Personalservice zu senden, der seinerseits die Kita-Leitungen informiert. Ob die Beteiligte, wie sie angibt, über genügend Kapazitäten im Personalservice verfügt, um die Kita-Leitungen jeweils über die bei ihr eingehenden Krankschreibungen zu informieren, ist für das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ohne Belang. Für die Beschäftigten, die von der Anordnung betroffen sind, steht bei der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohnehin nicht die Vertretungsregelung im Vordergrund, sondern die Erhaltung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.