Urteil : Reichweite des Rechts auf Kopie aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS‑GVO : aus der RDV 4/2023 Seite 249 bis 251
(EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-487/21 –)
Relevanz für die Praxis
Das Urteil schafft Klarheit in einer der seit dem Inkrafttreten der DS-GVO bestehenden Fragen im Kontext des Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO, dem Umfang des Rechts auf Kopie. Der EuGH spricht dem Betroffenen in der vorliegenden Entscheidung das Recht zu, eine „originalgetreue und verständliche Reproduktion der verarbeiteten personenbezogenen Daten“ zu erhalten. Um seiner Pflicht aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO gerecht zu werden, kann es für den Verantwortlichen daher erforderlich sein, dem Betroffenen eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder sogar von ganzen Dokumenten zu übermitteln. Dies ist der Fall, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten. Eine aggregierte Auflistung der verarbeiteten personenbezogenen Daten ist in diesem Fall zur Erfüllung der Pflicht aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO nicht ausreichend. Etwas anderes kann sich aber dann ergeben, wenn das Recht auf Kopie der personenbezogenen Daten im Konflikt mit Rechten oder Freiheiten anderer Personen steht. Dann ist der Umfang des Rechts aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO im Einzelfall durch eine Abwägung der widerstreitenden Rechte und Freiheiten zu bestimmen. Diese Abwägung darf nicht zu einer Verweigerung jeglicher Auskunft führen.
- Art. 15 Abs. 3 S. 1 der […] [DS‑GVO] ist dahin auszulegen, dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwort‑ lichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, bedeu‑ tet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten aus‑ gefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von gan‑ zen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Daten‑ banken, die u.a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie un‑ erlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, […].
- Art. 15 Abs. 3 S. 3 der Verordnung 2016/679 ist dahin aus‑ zulegen, dass sich der im Sinne dieser Bestimmung ver‑ wendete Begriff „Informationen“ ausschließlich auf personenbezogene Daten bezieht, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß S. 1 dieses Absat‑ zes eine Kopie zur Verfügung stellen muss.
Zu den Vorlagefragen:
Zu den Vorlagefragen 1 bis 3:
Mit den Fragen 1 bis 3, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO im Licht des in Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Transparenzgrundsatzes dahin auszulegen ist, dass das Recht auf Ausfolgung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, bedeutet, dass der betroffenen Person nicht nur eine Kopie dieser Daten ausgefolgt wird, sondern auch eine Kopie der Auszüge aus Dokumenten oder gar eine Kopie von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u.a. diese Daten enthalten. Das vorlegende Gericht wirft insbesondere die Frage nach dem Umfang dieses Rechts auf. […]
Was den Wortlaut von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO betrifft, so heißt es in dieser Bestimmung, dass der Verantwortliche „eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung [stellt]“.
Auch wenn die DS-GVO keine Definition des so verwendeten Begriffs „Kopie“ enthält, ist der gewöhnliche Sinn dieses Begriffs zu berücksichtigen, der, wie der Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die originalgetreue Reproduktion oder Abschrift bezeichnet, so dass eine rein allgemeine Beschreibung der Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, oder ein Verweis auf Kategorien personenbezogener Daten nicht dieser Definition entspräche. Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 3 S. 1 dieser Verordnung, dass sich die Mitteilungspflicht auf die personenbezogenen Daten bezieht, die Gegenstand der in Rede stehenden Verarbeitung sind. […]
In der Verwendung des Ausdrucks „alle Informationen“ im Zusammenhang mit der Bestimmung des Begriffs „personenbezogene Daten“ in […] [Art. 4 Nr. 1 DS-GVO] kommt das Ziel des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen, die potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen umfasst, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt (vgl. entsprechend Urt. v. 20. Dezember 2017, Nowak, С 434/16, EU:C:2017:994, Rn. 34). […]
In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass der Unionsgesetzgeber den Begriff „Verarbeitung“, wie er in Art. 4 Nr. 2 DS-GVO definiert ist, durch eine nicht erschöpfende Aufzählung von Vorgängen weit fassen wollte (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests [Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke], C 175/20, EU:C:2022:124, Rn. 35).
Daher folgt aus der wörtlichen Auslegung von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO, dass diese Bestimmung der betroffenen Person das Recht verleiht, eine originalgetreue Reproduktion ihrer personenbezogenen Daten im Sinne einer weiten Bedeutung zu erhalten, die Gegenstand von Vorgängen sind, die als Verarbeitung durch den für diese Verarbeitung Verantwortlichen eingestuft werden müssen.
Allerdings ist festzustellen, dass der Wortlaut dieser Bestimmung für sich genommen die Beantwortung der ersten drei Fragen nicht ermöglicht, da er keinen Hinweis auf ein etwaiges Recht enthält, nicht nur eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, sondern auch eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder Auszügen aus Datenbanken, die u.a. diese Daten enthalten, zu erlangen.
Zum Kontext von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO ist festzustellen, dass Art. 15 („Auskunftsrecht der betroffenen Person“) Abs. 1 DS-GVO den Gegenstand und den Anwendungsbereich des der betroffenen Person zustehenden Auskunftsrechts festlegt und darin deren Recht verankert, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen Auskunft über ihre personenbezogenen Daten sowie die in den Buchst. a) bis h) dieses Absatzes genannten Informationen zu erhalten.
Art. 15 Abs. 3 DS-GVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der dem für die Verarbeitung Verantwortlichen obliegenden Verpflichtung fest […].
Daher kann Art. 15 DS-GVO nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewährt. Im Übrigen bezieht sich, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen betont hat, der Begriff „Kopie“ nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind.
Zu den mit Art. 15 DS-GVO verfolgten Ziele ist festzustellen, dass die DS-GVO, wie sich aus ihrem elften Erwägungsgrund ergibt, den Zweck hat, die Rechte der betroffenen Personen zu stärken und präzise festzulegen. Im Unterschied zu Art. 12 Buchst. a) zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31), der lediglich eine „Mitteilung in verständlicher Form über die Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“ verlangt, sieht Art. 15 dieser Verordnung insoweit ein Recht auf Erhalt einer Kopie vor. Im 63. Erwägungsgrund der DS-GVO wird wiederum klargestellt: „[E]ine betroffene Person sollte ein Auskunftsrecht hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten, die erhoben worden sind, besitzen und dieses Recht problemlos und in angemessenen Abständen wahrnehmen können, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können.“ […]
Somit muss es der betroffenen Person durch die Ausübung des in Art. 15 DS-GVO vorgesehenen Auskunftsrechts nicht nur ermöglicht werden, zu überprüfen, ob sie betreffende Daten richtig sind, sondern auch, ob sie in zulässiger Weise verarbeitet werden (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 12. Januar 2023, Österreichische Post [Informationen über die Empfänger personenbezogener Daten], C 154/21, EU:C:2023:3, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dieses Auskunftsrecht ist insbesondere erforderlich, um es der betroffenen Person zu ermöglichen, gegebenenfalls ihr Recht auf Berichtigung, ihr Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“) und ihr Recht auf Einschränkung der Verarbeitung, die ihr nach den Artt. 16, 17 bzw. 18 DS-GVO zukommen, sowie ihr in Art. 21 DS-GVO vorgesehenes Recht auf Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten oder im Schadensfall ihr in den Artt. 79 und 82 DS-GVO vorgesehenes Recht auf Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auszuüben (Urt. v. 12. Januar 2023, Österreichische Post [Informationen über die Empfänger personenbezogener Daten], C 154/21, EU:C:2023:3, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Übrigen muss gemäß dem vom vorlegenden Gericht erwähnten Grundsatz der Transparenz, auf den im 58. Erwägungsgrund der DS-GVO Bezug genommen wird und der in Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung ausdrücklich verankert ist, eine für die betroffene Person bestimmte Information präzise, leicht zugänglich und verständlich sowie in klarer und einfacher Sprache abgefasst sein.
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 und 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zu treffen hat, um der betroffenen Person alle u.a. in Art. 15 DS-GVO genannten Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln, und dass die Übermittlung der Informationen schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch zu erfolgen hat, es sei denn, die betroffene Person verlangt, dass diese mündlich erteilt werden.
Daraus folgt, dass die vom Verantwortlichen nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO zur Verfügung zu stellende Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, alle Merkmale aufweisen muss, die es der betroffenen Person ermöglichen, ihre Rechte aus dieser Verordnung wirksam auszuüben, und diese Daten daher vollständig und originalgetreu wiedergeben muss. […]
Um zu gewährleisten, dass die so bereitgestellten Informationen leicht verständlich sind, wie es Art. 12 Abs. 1 i.V.m. dem 58. Erwägungsgrund der DS-GVO verlangt, kann sich […], wie der Generalanwalt in den Nrn. 57 und 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u.a. personenbezogene Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten.
Insbesondere wenn personenbezogene Daten aus anderen Daten generiert werden oder wenn sie auf freien Feldern beruhen, d.h. einer fehlenden Angabe, aus der eine Information über die betroffene Person hervorgeht, ist der Kontext, in dem diese Daten Gegenstand der Verarbeitung sind, unerlässlich, damit die betroffene Person eine transparente Auskunft und eine verständliche Darstellung dieser Daten erhalten kann.
Außerdem sollte nach Art. 15 Abs. 4 DS-GVO i.V.m. dem 63. Erwägungsgrund der DS-GVO das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Abs. 3 die Rechte und Freiheiten anderer Personen, etwa Geschäftsgeheimnisse oder Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere das Urheberrecht an Software, nicht beeinträchtigen.
Daher sind, wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, im Fall eines Konflikts zwischen der Ausübung des Rechts auf vollständige und umfassende Auskunft über die personenbezogenen Daten zum einen und den Rechten oder Freiheiten anderer Personen zum anderen die fraglichen Rechte gegeneinander abzuwägen. Nach Möglichkeit sind Modalitäten der Übermittlung der personenbezogenen Daten zu wählen, die die Rechte oder Freiheiten anderer Personen nicht verletzen, wobei diese Erwägungen „nicht dazu führen [dürfen], dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird“, wie sich aus dem 63. Erwägungsgrund DS-GVO ergibt. […]
Zur Vorlagefrage 4:
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Abs. 3 S. 3 DS-GVO dahin auszulegen ist, dass sich der im Sinne dieser Bestimmung verwendete Begriff „Informationen“ ausschließlich auf personenbezogene Daten bezieht, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß S. 1 dieses Absatzes eine Kopie zur Verfügung stellen muss, oder ob er sich auch auf alle in Abs. 1 dieses Artikels genannten Informationen bezieht oder gar darüber hinausgehende Einzelheiten wie etwa Metadaten umfasst.
[…]
Insoweit beschränkt sich Art. 15 Abs. 3 S. 3 DS-GVO zwar auf den Hinweis, dass „die Informationen in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen [sind]“, wenn „die betroffene Person den Antrag elektronisch [stellt]“, ohne dass erläutert wird, was unter dem Begriff „Informationen“ zu verstehen ist, doch heißt es in S. 1 dieses Absatzes: „Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung.“
Somit ergibt sich aus dem Kontext von Art. 15 Abs. 3 S. 3 DS-GVO, dass die von ihm erfassten „Informationen“ zwangsläufig den personenbezogenen Daten entsprechen, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß S. 1 dieses Absatzes eine Kopie zur Verfügung stellen muss.
[…]
Zur Vertiefung
Peisker, Die Kopie nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO – Gedanken zur EuGH-Entscheidung in der Rs. C-487/21 = RDV 3/2023.
Allgayer, Die Datenschutz-Grundverordnung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts = RDV 1/2023.
Nowak/Bornholdt, Zum Recht auf Kopie und zur rechtlichen Weite eines Anspruchs gemäß Art. 15 Abs. 3 der DatenschutzGrundverordnung = RDV 4/2020.
[Beschluss] Vorlagefrage zum Anspruch gegen einen Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung der Patientenakte nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO = RDV 4/2022.
[Urteil] Zur Reichweite des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO = RDV 4/2021.
[Urteil] Zum Recht auf kostenlose Kopie der juristischen Staatsprüfung = RDV 5/2021