Urteil : Videoaufzeichnung von Touristen zu Werbezwecken : aus der RDV 6/2015, Seite 335 bis 337
(Verwaltungsgericht Schwerin, Beschluss vom 18. Juni 2015 – 6 B 1637/15 SN –)
- Um eine Videoüberwachung i.S.d. § 6b Abs. 1 BDSG, bei der personenbezogene oder zumindest personenbeziehbare Daten erhoben werden, handelt es sich auch dann, wenn die Erfassung von Personen eine lediglich (unvermeidliche) Nebenfolge des eigentlich Gewollten und sogar unerwünscht ist.
- Zeichnen Webcams zum Zwecke der Werbung und Information potentieller Urlaubsgäste im Umfeld von Ferienwohnungen öffentlich zugängliche Bereiche auf, sind sich dort aufhaltende Personen zumindest bestimmbar und wird gleichzeitig das Abrufen der Aufzeichnungen über das Internet (per Livestream) ermöglicht, ist dies nicht nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG zulässig.
Sachverhalt:
Mit dem Bescheid vom 08. April 2015 gab der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit dem Antragsteller auf, die beiden Webcams, die in der Strand …, …, betrieben werden und unter „www. …“ abrufbar sind, so einzustellen,
- dass im vorderen Bereich der Webcams der Fahrradweg und die Strand-Promenade nicht mehr beobachtet werden und nicht von der Videoüberwachung erfasst werden und
- dass im hinteren Bereich der Webcams am Strand und im Bootshafen / Marina … keine Personen erkennbar und zu identifizieren sind.
Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung der Anordnungen an und drohte ein Zwangsgeld an.
Aus den Gründen:
Die Aufzeichnungen der Webcams und die gleichzeitige Ermöglichung des Abrufens der Bilder über das Internet ist auch nicht durch § 6b BDSG gerechtfertigt, der als abschließende (bereichsspezifische) Regelung für die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume die allgemeinere Vorschrift des § 28 BDSG verdrängt (vgl. hierzu etwa Gola/Schomerus, BDSG 12. Aufl., § 6b Rn. 3 m.w.N.). Die Beobachtung durch den Antragsteller unterfällt dem Regelungsgehalt des § 6b BDSG, dessen Anforderungen sie sowohl hinsichtlich der Erhebung der Daten (§ 6b Abs. 1 BDSG) als auch hinsichtlich deren Nutzung im Sinne des § 6b Abs. 3 BDSG, der die Beobachtung nach Abs. 1 als Datenerhebung kennzeichnet, nicht genügt.
Nach § 6b Abs. 1 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie
- zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
- zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
- zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke
erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Die Aufzeichnungen durch die Webcams erfüllen das Merkmal des „Beobachtens“ im Sinne des § 6b Abs. 1 BDSG.
Unter diesem Merkmal ist die Sichtbarmachung von Geschehnissen und Personen mit Hilfe dazu geeigneter technischer Einrichtungen von einer gewissen Dauer – und damit eine Form des Überwachens – zu verstehen (nicht dagegen die Einzelaufnahme eines Bildes per Videotechnik – „shot“ -, vgl. Scholz in Simitis, a.a.O., § 6b Rn. 64), ohne dass die Datenerhebung eine von vornherein gezielte Beobachtung einzelner Personen voraussetzt. Erforderlich ist eine gewisse Zielgerichtetheit bei der Wahrnehmung äußerer Vorgänge mit optisch-elektronischen Geräten. Es kommt allerdings nicht darauf an, dass die Beobachtung das eigentliche Ziel oder auch nur der Hauptzweck der Tätigkeit ist. Ob eine Beobachtung vorliegt, bestimmt sich auch nicht nach einer bestimmten Motivation des Beobachtenden (vgl. Becker, in: Plath, BDSG, 1. Aufl., § 6b Rn. 11). Es genügt, dass die Beobachtung des öffentlichen Raums eine (unvermeidliche) Nebenfolge des eigentlich Gewollten ist.
Ein „Beobachten“ im Sinne des § 6b BDSG kann auch bei bloßen Kamera-Monitor-Systemen als „verlängertes Auge“ ohne nachfolgende Aufzeichnung oder Auswertung des Bildmaterials gegeben sein (so Scholz in Simitis, BDSG, 8. Aufl., § 6b Rn. 65; Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 4. Aufl., § 6b Rn. 13; Becker, in: Plath, a.a.O., § 6b Rn. 13; vgl. aber auch Gola/Schomerus, a.a.O., § 6b Rn. 10, 10a), jedenfalls aber in der vorliegenden Variante, dass die aufgezeichneten Bilder der Webcams über eine Homepage im Internet mitverfolgt und von Dritten bei Bedarf sogar gespeichert werden können.
Das Merkmal des „Beobachtens“ im Sinne des § 6b Abs. 1 BDSG setzt allerdings stets einen hinreichenden, zumindest zeitweise bestehenden Personenbezug voraus (vgl. auch Brink, in: Brink/Wolff, Datenschutzrecht, 1. Aufl., § 6b BDSG Rn. 37). Wie bereits ausgeführt, werden im vorliegenden Fall auch personenbezogene oder zumindest personenbeziehbare Daten erhoben (insbesondere ist hier nicht etwa durch technische Vorkehrungen die Anonymität der aufgezeichneten Personen gewährleistet). Wie auch aus § 6b Abs. 4 BDSG folgt, kommt es für eine Überwachung allerdings nicht darauf an, inwieweit die verantwortliche Stelle zu einer Identifizierung von Betroffenen in der Lage ist oder diese überhaupt anstrebt (vgl. Gola/Schomerus, a.a.O., § 6b Rn. 11). Dies muss für den vorliegenden Fall schon deshalb gelten, weil nicht absehbar ist, in welcher Weise die Aufzeichnungen infolge ihrer freien Abrufbarkeit über das Internet ggf. auch von Dritten verfolgt oder genutzt werden.
Die Anwendbarkeit des § 6b BDSG kann demgegenüber nicht davon abhängen, ob das Beobachten eines öffentlich zugänglichen Raums mit optisch-elektronischen Einrichtungen auf die Überwachung der Betroffenen ausgerichtet ist (so aber anscheinend Wrede, DuD 2010, 225, 228). Werden in dem beschriebenen Maße personenbezogene oder zumindest personenbeziehbare Daten erhoben, bleibt es auch dann bei der Einordnung als Videoüberwachung, wenn die Beobachtung eine lediglich (unvermeidliche) Nebenfolge des eigentlich Gewollten und die ungewollte Erfassung von Personen sogar unerwünscht ist (vgl. auch Onstein, in: Auernhammer, BDSG, 4. Aufl., § 6b Rn. 22; Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, a.a.O., § 6b Rn. 14).
So unterfällt auch der Einsatz einer Wildkamera, mit deren Aufzeichnungen die Dokumentation und die Abschlussplanung des Wildes erleichtert werden sollen, in öffentlich zugänglichen Bereichen dem Anwendungsbereich des § 6b BDSG, sofern personenbezogene oder zumindest personenbeziehbare Daten erhoben werden und nicht etwa durch technische Vorkehrungen die Anonymität der möglicherweise aufgezeichneten Personen gewährleistet ist (LG Essen, Urt. v. 26.06.2014 – 10 S 37/14 – juris m. zustimmender Anmerkung Albrecht, jurisPR-ITR 9/2015 Anm. 2; vgl. auch Dienstbühl, NuR 2012, 395, 397 f.; Mester, DuD 2015, 194). Auch dabei wird die in Kauf genommene Erhebung personenbezogener oder zumindest personenbeziehbarer Daten unerwünscht sein.
Der beobachte Bereich, der Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist, stellt zudem einen öffentlich zugänglichen Raum im Sinne des § 6b Abs. 1 BDSG dar.
Nach § 6b Abs. 1 BDSG könnte die Videoüberwachung (Beobachtung und Ermöglichung des gleichzeitigen Abrufs über das Internet) in den betroffenen öffentlich zugänglichen Bereichen hier allenfalls zur Wahrnehmung sonstiger berechtigter Interessen im Sinne der Nummer 3 gerechtfertigt sein, was jedoch nicht der Fall ist. Berechtigt im Sinne des § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist ein Interesse wirtschaftlicher oder ideeller Art, das von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird und auf einen konkreten Nutzungs- oder Verarbeitungszweck gerichtet ist (vgl. Onstein, in: Auernhammer, a.a.O., § 6b Rn. 33; VG Berlin, Urt. v. 13.01.2014 – 1 K 220.12 –, juris Rn. 22). Danach kann sich der Antragsteller im Hinblick auf die Aufzeichnungen der Webcams unter gleichzeitiger Ermöglichung des Abrufens der Bilder über das Internet zum Zwecke der Werbung und Information potentieller Urlaubsgäste über die aktuelle Situation im betroffenen Umfeld der Ferienwohnungen („eigenwerbende Panorama-Aufnahmen der Umgebung der Ferienwohnanlage“) nicht auf berechtigte Interessen berufen (verneinend Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rn. 78 auch für den Fall, dass potentiellen Gäste mit einer Übertragung von Bildern einer Webcam auf die Homepage eines Restaurants die Einschätzung ermöglicht wird, ob aktuell Plätze frei oder dort Bekannte anwesend sind). Dies folgt schon daraus, dass es dafür keines Beobachtens im Sinne des § 6b BDSG bedarf und hier Zweck die Zugänglichmachung für Dritte über das Internet ist (vgl. auch Brink, in: Brink/Wolff, a.a.O., § 6b BDSG Rn. 51).
Selbst wenn man hier unterstellt, dass das geltend gemachte Interesse im Sinne des § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG berechtigt ist, kann sich der Antragsteller deshalb nicht auf § 6b Abs. 1 BDSG berufen, weil Anhaltspunkte für ein Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der von dem Beobachten betroffenen Personen bestehen.
Die Interessenprüfung gemäß § 6b Abs. 1 (und auch Abs. 3) BDSG erfordert eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Abwägung zwischen den durch die Zwecke der Videoüberwachung bestimmten grundrechtlich geschützten Positionen der Anwender von Videotechnik und den Interessen derjenigen, die vom Beobachten betroffen sind. Bei der Abwägung sind auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die Zwecksetzung der Beobachtung sowie die sie begleitenden Umstände (vor allem deren technische Ausgestaltung) zu beachten, während auf Seiten der vom Beobachten betroffenen Personen in erster Linie das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seinen Ausprägungen als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist. Hierbei sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls maßgeblich. Der Frage der Eingriffsintensität kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt. Je stärker das Maß der Beeinträchtigung durch die Beobachtungsmaßnahme ist, desto schutzwürdiger sind die Interessen der betroffenen Personen. Ein Überwiegen der Interessen der Betroffenen muss dabei nicht positiv festgestellt werden, es reicht aus, wenn Anhaltspunkte für ein Überwiegen dieser Interessen nicht ausgeräumt werden können (vgl. Gola/Schomerus, a.a.O., § 6b Rn. 19; Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 23 und 92; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.09.2014 – 11 LC 114/13 –, juris Rn. 63).
Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall ganz erhebliche Anhaltspunkte für ein Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der von der Videoüberwachung (Beobachtung unter Ermöglichung des gleichzeitigen Abrufs über das Internet) betroffenen Personen gegeben. Bildaufnahmen stellen grundsätzlich einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen dar. Insbesondere kann hier nicht angenommen werden, dass der Auflösungsgrad der Bilder keine Bestimmbarkeit von Personen zulässt. Hinzu kommt, dass die erfassten Ausschnitte in ihrer Summe einen erheblichen Bereich der betroffenen Örtlichkeiten abdecken. Der Antragsteller filmt das gesamte Geschehen in den betroffenen öffentlich zugänglichen Bereichen zudem permanent. Die großflächige und dauerhafte Beobachtung stellt schon für sich genommen einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar, weil dadurch eine sehr große Zahl von Personen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen wird. Aufgezeichnet wird insbesondere, wann ein Betroffener sich allein oder in welcher Begleitung in den betreffenden Bereich bewegt oder aufgehalten hat. Erheblich verstärkt werden diese Eingriffe dadurch, dass zugleich die Abrufbarkeit der Aufzeichnungen über das Internet ermöglicht wird, so dass es sogar weltweit beliebigen Dritten überlassen bleibt, wie diese mit den Videoaufnahmen verfahren, insbesondere im welchem Umfang sie diese verfolgen oder sogar auswerten, speichern, weiterverarbeiten, ohne dass die Betroffenen etwas darüber erfahren (vgl. auch Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 6b Rdnr. 122).
Die Tatsache der Videoüberwachung wird auch nicht in einem ausreichenden Maße offengelegt, was – ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt – die Eingriffsintensität noch erhöht. Der bloße Hinweis auf den am Grundstückszaun angebrachten Schildern, dass „der gesamte Hafenbereich und alle Anliegergrundstücke videoüberwacht werden“, genügt insoweit nicht.
Die Interessenabwägung würde im Übrigen nicht anders ausfallen, wenn man hier davon ausgeht, dass das Interesse des Antragstellers im Sinne des § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG berechtigt ist, und nach der Wertung des Gesetzgebers die Videoüberwachung auch durch nicht-öffentliche Stellen im öffentlich zugänglichen Bereich zu den genannten Zwecken grundsätzlich zulässig ist und „lediglich“ unter dem genannten Vorbehalt steht.
Demgegenüber sind schützenswerte Interessen des Antragstellers, die nicht auch mittels anderer Einstellungen der Webcams gewahrt werden können, nicht ersichtlich (vgl. auch Albrecht, jurisPR-ITR 9/2015 Anm. 2, wonach dann, wenn beim Einsatz von Wildkameras zu jagdlichen Zwecken personenbezogene Daten erhoben werden, „das Schutzinteresse der Spaziergänger, Pilzsammler, Jogger etc., als Waldbesucher in der freien Natur unbeobachtet zu sein“, dem jagdlichen Interesse regelmäßig vorgeht; ebenso Gola/Schomerus, a.a.O., § 6b Rn. 9a).
Im Ergebnis liegen damit auch die Voraussetzungen der „Erlaubnisnorm“ des § 6b BDSG nicht vor. Der Antragsteller nimmt daher die Beobachtung der von seinen Kameras erfassten Bereiche des öffentlichen Raums nicht in Einklang mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben vor. Angesichts dieser Verstöße bei der Erhebung personenbezogener Daten sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm des § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG erfüllt. Die darauf gestützte Ermessensausübung seitens des Antragsgegners ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch insoweit wird auf die Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts Bezug genommen, der sich das Gericht anschließt.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Anordnungen des Antragsgegners, insbesondere die unter Ziffer 2, inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Inhalt der Anordnung nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG kann sich auf ein von der verantwortenden Stelle (hier der Antragsteller) zu erreichendes Sicherungsziel beschränken, bei dem die Art der Realisierung in dessen Ermessen steht; die konkrete technische Vorkehrung muss im Einzelfall nicht vorgeschrieben werden (vgl. Scholz, in: Simitis, a.a.O., § 38 Rn. 73). So verhält es sich auch bei den Anordnungen unter den Ziffern 1 und 2.
Die Zwangsgeldandrohung (§§ 87, 88, 99 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V, § 110 VwVfG M-V) ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.