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Zulässigkeit offener Videoüberwachung und Beweisverwertungsverbot

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. März 2019 – 8 AZR 421/17 –)

Zu den Kriterien, unter denen eine offene Videoüberwachung unverhältnismäßig ist.

(nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch darüber, ob die Klägerin dem Beklagten Schadensersatz iHv. insgesamt 9.840,27 € schuldet. Die Klägerin war seit dem 1. September 2014 bei dem Beklagten als Verkäuferin in einer Lottoannahmestelle zu einem Stundenlohn von 9,00 € brutto beschäftigt. Ihre monatliche Arbeitszeit betrug 120 Stunden. In der Lottoannahmestelle, die sich im Gebäude eines Markts in S befindet, werden neben den Artikeln des Lottogeschäfts insbesondere Tabakwaren und Zeitungen verkauft. Außer der Klägerin waren dort – in verschiedenen Schichten – drei weitere Verkäuferinnen tätig. Von den drei weiteren Mitarbeiterinnen waren zwei seit September 2015 beim Beklagten beschäftigt. Eine weitere Mitarbeiterin war erst zu einem späteren Zeitpunkt eingestellt worden.

Das Ladenlokal der Lottoannahmestelle wird von drei für jedermann deutlich erkennbar positionierten Videokameras, den Kameras Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 überwacht. Im Eingangsbereich macht ein auffälliges gelbes Hinweisschild auf die Überwachung, die den Arbeitnehmerinnen bekannt ist, aufmerksam. Die Kameras im Ladenlokal sind so angebracht, dass die Kamera Nr. 1 und die Kamera Nr. 2 die Zeitungs-, Presse- und Tabakregale aus unterschiedlichen Perspektiven erfassen, wobei die Kamera Nr. 2 zudem den Bereich aufzeichnet, in dem die Kunden die Lottoscheine ausfüllen und sich etwas länger aufhalten können. Die Kamera Nr. 4 filmt den Kassenbereich mit Fokus auf den Thekenbereich und die davor stehenden Kunden sowie die Tasten der Kasse und deren Bedienung. Eine weitere Kamera, die Kamera Nr. 3, überwacht den im hinteren Bereich der Lottoannahmestelle liegenden, dem Publikumsverkehr nicht zugänglichen Büroraum, der zum Geldzählen und zum Deponieren des Geldbestands in einem dort befindlichen Tresor genutzt wird. Sämtliche Aufnahmen werden mittels eines in einem verschlossenen Metallbehälter aufbewahrten Festplattenvideorekorders aufgezeichnet.

Aufgrund stichprobenartiger Ermittlungen der Warenaufschläge durch die Innenrevision wurde nach dem Vorbringen des Beklagten erstmals Anfang Dezember 2015 festgestellt, dass Waren – insbesondere Rubbellose und Tabakwaren – in deutlicher Menge fehlten. Nachdem auch für Januar 2016 erhebliche Fehlmengen zu verzeichnen waren, entnahm der Beklagte am 15. Februar 2016 das Videogerät mit den Aufzeichnungen aus der Filiale und analysierte die Aufnahmen in seiner Verwaltungszentrale in G.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2016 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Die Klägerin hat gegen die Kündigung zunächst Kündigungsschutzklage erhoben und ausstehende Vergütung für den Monat Februar 2016 iHv. 918,00 € nebst Zinsen eingeklagt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 23. Juni 2016 hat sie ihre Kündigungsschutzklage zurückgenommen und nur noch ihren Zahlungsantrag – der nicht Gegenstand des Berufungs- und des Revisionsverfahrens geworden ist – weiterverfolgt.

Der Beklagte hat die Klägerin mit einer Widerklage auf Zahlung von Schadensersatz iHv. insgesamt 9.840,27 € in Anspruch genommen. Er hat behauptet, eine Analyse der am 15. Februar 2016 entnommenen Videoaufzeichnungen habe ergeben, dass die Klägerin am 17. Dezember 2015, am 19. Dezember 2015, am 8. Januar 2016, am 13. Januar 2016, am 23. Januar 2016 sowie am 29. Januar 2016 Zigarettenverkäufe nicht ordnungsgemäß abgerechnet, Diebstähle von Zigaretten begangen, unberechtigt Gelder entnommen und Rubbellose genutzt habe, ohne diese zu bezahlen. Hierdurch sei ihm ein Schaden iHv. insgesamt 976,20 entstanden. Der gerichtlichen Verwertung der Videoaufnahmen vom 17. Dezember 2015, 19. Dezember 2015, 8. Januar 2016, 13. Januar 2016, 23. Januar 2016 sowie vom 29. Januar 2016 stehe kein Beweisverwertungsverbot entgegen. Die Videoüberwachung sei nach dem BDSG zulässig.

Darüber hinaus schulde die Klägerin ihm einen weiteren Schadensersatz iHv. 8.864,07 €. Die Innenrevision habe für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis zum 31. Januar 2016 einen Warenschwund iHv. 9.177,88 € festgestellt. Dieser berechne sich aus der Gewinnmarge, die in diesem Zeitraum, abweichend von den üblichen etwa 10 Prozent, lediglich 2,5 Prozent betragen habe. Bei den Rubbellosen sei im selben Zeitraum eine Differenz iHv. 1.818,00 zwischen eingescannten und verkauften Losen aufgetreten. Von dem Gesamtbetrag iHv. 10.995,88 € seien der schon einbehaltene Lohn iHv. 715,97 € sowie weitere 439,64 € wegen einer von einer anderen Mitarbeiterin begangenen Stornomanipulation und der Betrag iHv. 976,20 € in Abzug zu bringen, so dass sich sein Gesamtschaden insoweit auf 8.864,07 € belaufe. Auch insoweit sei von einer Täterschaft der Klägerin auszugehen.

Die Auswertung der Videoaufzeichnungen einzelner Tage habe im Hinblick auf die anderen Mitarbeiterinnen – mit Ausnahme der von einer anderen Mitarbeiterin begangenen Stornomanipulation iHv. 439,64 € – nichts ergeben. Die Kunden gelangten wegen der bestehenden räumlichen Trennung nicht an die Tabakwaren. Das Ladenlokal werde auch außerhalb der Öffnungszeiten videoüberwacht. Die Warenanlieferung werde ebenfalls durch Mitarbeiter kontrolliert. Anhand der einzelnen analysierten Arbeitstage der Klägerin am Anfang, in der Mitte und gegen Ende des Zeitraums vom 1. November 2015 bis zum 31. Januar 2016 ergebe sich ein so dichtes Bild, dass eine Schadensschätzung möglich sei. Einer Videoanalyse des gesamten Zeitraums bedürfe es nicht. Eine solche Analyse würde, da die Aufnahmen in Echtzeit vorlägen, einen unzumutbaren Zeitaufwand bedeuten.

Der Beklagte hat widerklagend beantragt, die Klägerin zu verurteilen, an ihn 9.840,27 € nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiseinsatz seit dem 29. März 2016 zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen. Sie hat in Abrede gestellt, sich unrechtmäßig Geld oder Waren angeeignet zu haben. Sie hat behauptet, soweit sie unzutreffende Beträge in die Kasse eingetippt habe, sei dies zum Ausgleich vorher aufgetretener Stornos erfolgt. Dies sei erforderlich gewesen, da die Kasse keine einfache technische Vorkehrung für einen Stornovorgang aufgewiesen habe. Das Kassensystem sei zudem nicht in der Lage gewesen, den Abverkauf von Tabakwaren spezifiziert zu erfassen. Ein etwaiger Fehlbestand könne auch auf ein Verhalten von Kunden oder der übrigen Mitarbeiterinnen zurückzuführen sein.

Im Übrigen erscheine die Annahme ihrer Täterschaft schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil sie vor der Einstellung der zwei weiteren Mitarbeiterinnen im September 2015 bereits ein Jahr für den Beklagten gearbeitet habe, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei. Jedenfalls dürften die vom Beklagten gefertigten Videoaufzeichnungen nicht zu Beweiszwecken herangezogen werden, insoweit bestehe ein Beweisverwertungsverbot. Der Beklagte habe zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufzeichnungen keinen diese Maßnahme rechtfertigenden hinreichend konkreten Verdacht gehabt. Zudem hätten die Aufzeichnungen im Kassenbereich lediglich der Überwachung der dort tätigen Mitarbeiter gedient. Darüber hinaus wirke sich aus, dass Arbeitnehmer im nicht öffentlich zugänglichen Büroraum grundsätzlich einen weitergehenden Schutz ihrer Privatsphäre erwarten dürften.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 918,00 nebst Zinsen verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die gegen die Abweisung der Widerklage gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt dieser sein Widerklagebegehren weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Aus den Gründen:
Die zulässige Revision des Beklagten hat nur teilweise Erfolg, im Übrigen war sie zurückzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten insoweit zu Recht als unbegründet zurückgewiesen, als dieser von der Klägerin einen weiteren Schadensersatz iHv. 8.864,07 € wegen angeblicher Pflichtverletzungen der Klägerin im Zeitraum vom 1. November 2015 bis zum 31. Januar 2016 mit Ausnahme am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 angeblich begangener Pflichtverletzungen fordert. Soweit der Beklagte von der Klägerin die Zahlung von Schadensersatz iHv. 976,20 € wegen der aufgrund der Auswertung der Videoaufnahmen vom 17. und 19. Dezember 2015 sowie vom 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 angeführter Pflichtverletzungen der Klägerin begehrt, ist die Revision dagegen begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte die Widerklage insoweit nicht mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen. Aufgrund der vom Landesarbeitsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die Widerklage insoweit begründet ist. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) im Kostenpunkt und im Übrigen insoweit, als das Landesarbeitsgericht die Widerklage des Beklagten wegen des von diesem begehrten Schadensersatzes iHv. 976,20 € wegen angeblicher Pflichtverletzungen der Klägerin am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 abgewiesen hat, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Soweit der Beklagte mit seiner Widerklage Schadensersatz iHv. 8.864,07 € wegen der von ihm behaupteten Pflichtverletzungen der Klägerin im Zeitraum vom 1. November 2015 bis zum 31. Januar 2016 mit Ausnahme am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 angeblich begangener Pflichtverletzungen begehrt, hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Insoweit ist die Widerklage unbegründet. Der Beklagte kann – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – von der Klägerin insoweit weder nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB noch nach § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB iVm. § 242 Abs. 1, § 246 Abs. 1 oder § 266 Abs. 1 StGB Schadensersatz verlangen, da es bereits an einem schlüssigen Vorbringen des Beklagten zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach diesen Bestimmungen fehlt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine die Widerklage insoweit abweisende Entscheidung zum einen tragend darauf gestützt, der Beklagte habe schon nicht schlüssig dargelegt, dass in den drei Monaten von November 2015 bis Januar 2016 in der streitgegenständlichen Lottoannahmestelle tatsächlich bei den Waren außerhalb des Lottogeschäfts ein Schwund/Fehlbetrag iHv. 9.177,88 € und bei den Rubbellosen ein Schwund/Fehlbetrag iHv. 1.818,00 € zu verzeichnen gewesen sei. Zur Begründung einer konkret zu beziffernden Schadensersatzforderung hätte der Beklagte – über den gehaltenen Vortrag hinaus – zudem vortragen müssen, dass der körperliche Warenbestand der Filiale in die Betrachtung einbezogen wurde. Nur dann hätten andere Erklärungen für eine unerwartet niedrige Marge hinreichend zuverlässig ausgeschlossen werden können.

Zum anderen und unabhängig davon, ob die Klägerin an den sechs konkret bezeichneten Tagen Unredlichkeiten begangen habe, habe der Beklagte eine Täterschaft und Verantwortlichkeit der Klägerin für einen Schaden iHv. 8.864,07 € nicht schlüssig dargetan. Weder der Beklagte noch sonstige Personen hätten unerlaubte Handlungen der Klägerin an weiteren Tagen beobachtet. Dass weitere belastende Videoaufzeichnungen vorgelegen hätten, habe der Beklagte nicht behauptet. Eine bloße Schlussfolgerung aus einem Fehlbestand auf eine Täterschaft der Klägerin sei nicht zwingend. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass andere Umstände als ein Fehlverhalten der Klägerin zu einem Warenschwund/Fehlbetrag geführt hätten. So könnten Kunden oder auch sonstige Dritte Waren weggenommen haben. Auch eine Täterschaft der anderen Mitarbeiterinnen des Beklagten könne nicht sicher ausgeschlossen werden. Unbestimmte Vermutungen und ein mehr oder weniger dringender Verdacht einer Pflichtverletzung der Klägerin reichten als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs nicht aus.

II. Es kann offenbleiben, ob der Beklagte – wie das Landesarbeitsgericht mit seiner ersten selbständig tragenden Begründung angenommen hat – einen entsprechenden Vermögensschaden nicht schlüssig dargelegt hat, weshalb auch die Frage, ob eine Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO möglich wäre, keiner Entscheidung bedurfte. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Widerklage sei insoweit auch deshalb abzuweisen, weil der Beklagte eine Täterschaft und Verantwortlichkeit der Klägerin für den von ihm behaupteten Schaden iHv. 8.864,07 € nicht schlüssig dargetan habe, ist frei von Rechtsfehlern.

  1. Zwar dürfen, wenn das schädigende Ereignis näher am Arbeitnehmer als am Arbeitgeber gelegen hat, an die Darlegungslast des Arbeitgebers keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Vielmehr hat sich der Arbeitnehmer im Sinne einer abgestuften Darlegungslast substantiiert zu äußern (vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 8 AZR 647/09 – Rn. 51; 2. Dezember 1999 – 8 AZR 386/98 – zu III 2 b der Gründe; 17. September 1998 – 8 AZR 175/97 – zu B II 2 c aa der Gründe, BAGE 90, 9). Das kann dazu führen, dass ein Arbeitgeber nicht jede einzelne Handlung des Arbeitnehmers mit Datum und Uhrzeit benennen muss, solange ein bestimmter Fehlbetrag feststeht und die Verantwortlichkeit gerade des Arbeitnehmers für den geltend gemachten Schaden substantiiert dargelegt ist.
  2. Hieran fehlt es. Der Beklagte hat schon keine ausreichenden Umstände für ein haftungsbegründendes Fehlverhalten der Klägerin vorgetragen. Sein Vorbringen lässt diese Schlussfolgerung nicht zu, weil – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – auch andere Umstände in gleicher Weise zu dem behaupteten Schaden geführt haben könnten. Denn unstreitig hätten auch Kunden Waren entwenden oder zB durch Trickbetrügereien einen Kassenfehlbestand verursachen können. Ebenso wenig ist es auszuschließen, dass ein Fehlverhalten von Lieferanten für einen Warenfehlbestand ursächlich war. Darüber hinaus hatten auch die Kolleginnen der Klägerin Zugriff auf die Kasse und den Warenbestand. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend angenommen, dass der Beklagte nicht hinreichend dargelegt hat, warum die Fehlbestände nicht durch deren Verhalten entstanden sein können. Der Beklagte hat die Fehlbestände nicht jeweils einer bestimmten Schicht zugeordnet, während derer allein die Klägerin tätig war, sondern nur den Gesamtschwund während des Zeitraums vom 1. November 2015 bis zum 31. Januar 2016 angegeben, in dem unstreitig auch die weiteren Arbeitnehmerinnen in der Lottoannahmestelle tätig waren. Dass eine Täterschaft dieser Arbeitnehmerinnen nicht ausgeschlossen werden kann, gilt umso mehr, als der Beklagte selbst ausdrücklich vorgetragen hat, dass auch im Hinblick auf die Kolleginnen der Klägerin nur stichprobenartige Prüfungen durchgeführt worden seien und diese Prüfungen ergeben hätten, dass eine Kollegin der Klägerin eine Stornomanipulation begangen habe, die zu einem Schaden iHv. 439,64 € geführt habe. Demnach bleiben im Ergebnis nur Vermutungen bzw. ein Verdacht, dass die Fehlbestände auf Pflichtverletzungen der Klägerin zurückzuführen sind. Hierauf kann ein Schadensersatzanspruch jedoch nicht gestützt werden (vgl. BAG 2. Dezember 1999 – 8 AZR 386/98 – zu III 2 b der Gründe; 17. September 1998 – 8 AZR 175/97 – zu B II 2 c aa der Gründe, BAGE 90, 9).

B. Soweit der Beklagte mit der Widerklage Schadensersatz iHv. 976,20 € wegen behaupteter Pflichtverletzungen der Klägerin am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 begehrt, ist die Revision dagegen begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte die Widerklage insoweit nicht mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen. Aufgrund der vom Landesarbeitsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die Klage insoweit begründet ist. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) im Kostenpunkt und im Übrigen insoweit, als das Landesarbeitsgericht die Widerklage des Beklagten wegen des von diesem begehrten Schadensersatzes iHv. 976,20 € abgewiesen hat, sowie im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine die Widerklage (auch) insoweit abweisende Entscheidung darauf gestützt, der Beklagte habe keinen zulässigen Beweis für die Richtigkeit des von ihm behaupteten und von der Klägerin bestrittenen Fehlverhaltens der Klägerin angetreten. Sowohl für die Beweisführung durch Inaugenscheinnahme der Videosequenzen als auch für die Beweisführung durch Vernehmung der Mitarbeiterin, die die Videoaufzeichnungen ausgewertet habe, als Zeugin bestehe ein Beweisverwertungsverbot aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsrechtsschutzes.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die von dem Beklagten ab dem 15. Februar 2016 begonnene Auswertung des mit der Kamera Nr. 4 (sog. Kassenkamera) aufgezeichneten Arbeitsverhaltens der Klägerin im Kassenbereich verstoße gegen § 6b Abs. 5 BDSG in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (im Folgenden BDSG aF). Der Beklagte habe mit dem Vorhalten der Videoaufzeichnungen des Kassierverhaltens der Klägerin im Zeitraum von November 2015 bis Januar 2016 bis zum 15. Februar 2016 gegen seine Pflicht zur unverzüglichen Löschung verstoßen. Hieraus resultiere nach Abwägung der wechselseitigen Interessen ein Beweisverwertungsverbot. Auch wenn der Beklagte ein Interesse daran habe, Schadensersatzforderungen wegen eines rechtswidrigen Verhaltens realisieren zu können, erwarte der Gesetzgeber von der verantwortlichen Stelle eine alsbaldige Prüfung des Videomaterials zur Bedarfsklärung. Auf der Seite der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass diese durch das Vorgehen des Beklagten in gravierender Weise in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt werde. Die Kassenkamera habe jeden einzelnen Kassiervorgang während etlicher Arbeitswochen – weit rückwirkend in den Dreimonatszeitraum – aufgezeichnet. Zudem wirke sich aus, dass auch das Verhalten der Klägerin an anderen Stellen des Ladenlokals und zudem ihr Verhalten in dem nicht öffentlich zugänglichen Büroraum, insb. auch an dem dort befindlichen Sitzplatz durchgängig aufgezeichnet worden sei. Eine Videoüberwachung des Arbeitnehmers in seinem Arbeitsbereich während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit stelle einen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Es komme hinzu, dass die lückenlose Dokumentation des Arbeitsverhaltens der Klägerin über Wochen bzw. über Monate hinaus gespeichert geblieben sei.

Etwas anderes folge nicht aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF. Ein Vorgehen nach dieser Bestimmung setze voraus, dass der Arbeitgeber Straftaten aufdecken wolle. Zudem müssten zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für begangene Straftaten vorliegen. Der konkrete Tatverdacht müsse aktenkundig gemacht werden. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Ein Verdacht sei bei dem Beklagten erst entstanden, nachdem er rückwirkend den Dreimonatszeitraum November 2015 bis Januar 2016 betriebswirtschaftlich ausgewertet habe.

Der Beklagte könne – so das Landesarbeitsgericht – die fraglichen Videoaufzeichnungen auch nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF rechtfertigen. Insoweit sei anerkannt, dass diese Bestimmung eine permanente Überwachung des Arbeitsverhaltens wegen des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zulasse.

Ein Beweisverwertungsverbot bestehe auch, soweit der Beklagte die Wegnahme von 200,00 € durch die Klägerin im Büroraum am 23. Januar 2016 mit Videosequenzen der Kamera Nr. 3 (sog. Bürokamera) beweisen wolle. Der Büroraum sei kein öffentlich zugänglicher Raum iSv. § 6b BDSG aF, so dass eine Videoüberwachung dieses Raums nach dieser Vorschrift nicht in Betracht komme. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BDSG aF seien aus den bereits dargelegten Gründen nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG aF führe zu keinem anderen Ergebnis.

II. Mit dieser Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Widerklage wegen der vom Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen der Klägerin am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 nicht abweisen. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zu Recht geprüft, ob zugunsten der Klägerin ein Beweisverwertungsverbot eingreift. Entsprechende Anhaltspunkte bot schon der Vortrag des Beklagten. Dieser hat sich zur Rechtfertigung seines Schadensersatzverlangens auf die Videoaufzeichnungen vom 17. und 19. Dezember 2015 sowie vom 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 gestützt. Die Klägerin, die die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe bestritten hat, hat auch nicht auf die Geltendmachung möglicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen verzichtet, sondern sich – ohne dass dies erforderlich gewesen wäre – ausdrücklich auf ein Beweisverwertungsverbot berufen (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 17 mwN, BAGE 163, 239).

Das Landesarbeitsgericht hat allerdings zum einen die Grundsätze, die für das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbots gelten, falsch angewendet. Insoweit fehlt es bereits an einer gesonderten Prüfung, inwieweit die Verwertung der – nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts – datenschutzrechtlich unzulässig gewonnenen Erkenntnisse oder Beweismittel durch das Gericht im Einzelfall einen Grundrechtsverstoß darstellt. Zum anderen tragen die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seine Würdigung, die Erhebung der Daten sei nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig, weil diese Bestimmung wegen des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine permanente Überwachung des Arbeitsverhaltens der Klägerin nicht erlaube, nicht.

  1. Für ein eventuelles Beweisverwertungsverbot kommt es auf die Frage an, ob ein Eingriff in das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt und ob dieser Eingriff zulässig ist. Sofern die Datenerhebung und -verwertung nach den Bestimmungen des BDSG aF erfolgen durfte, kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht. Ist dies nicht der Fall, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel durch das Gericht im Einzelfall einen Grundrechtsverstoß darstellt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – BAGE 163, 239), der der erkennende Senat sich anschließt.

a) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 14 mwN, BAGE 163, 239). Dies setzt in aller Regel voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre. Überdies müssen die betroffenen Schutzzwecke des bei der Gewinnung verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen. Die prozessuale Verwertung muss selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden.

Nicht abschließend geklärt ist, ob die Gerichte jenseits der sie treffenden Pflicht, ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe zu unterlassen, wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht gehalten sein können, einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Private aktiv zu begegnen und Sachvortrag oder Beweisantritte einer Partei aus Gründen der Generalprävention außer Acht zu lassen. Dafür wäre jedenfalls Voraussetzung, dass die verletzte Schutznorm in den betreffenden Fällen ohne ein prozessuales Verwertungsverbot leerliefe (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – aaO).

b) Obgleich die Vorschriften des BDSG aF nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen begrenzen, und obwohl es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insofern nicht ohne Bedeutung. Die Bestimmungen des BDSG aF über die Anforderungen an eine zulässige Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG aF). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG aF in diese Rechtspositionen erlaubt sind (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239).

aa) War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor. Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 15, BAGE 163, 239).

bb) Nur dann, wenn die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG aF nicht erlaubt war, muss gesondert geprüft werden, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiert oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat. Zum anderen kann es sein, dass die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellt noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen ist, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239).

c) Sofern danach ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht, erfasst dieses nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern steht auch einer mittelbaren Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels entgegen (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 – 1 BvR 304/01 – zu II 1 b bb der Gründe; BAG 20. Oktober 2016 – 2 AZR 395/15 – Rn. 19, BAGE 157, 69). Falls im vorliegenden Verfahren ein Beweisverwertungsverbot eingreift, dürfte also weder eine Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen erfolgen, noch dürfte das Gericht dem weiteren Beweisangebot des Beklagten auf Vernehmung der mit der Auswertung der Aufnahmen betrauten Personen als Zeugen nachgehen.

  1. Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Widerklage wegen der vom Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen der am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 nicht mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen, wobei dahinstehen kann, ob das Landesarbeitsgericht § 6b Abs. 3 und Abs. 5 BDSG aF zutreffend angewendet hat. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF stellt für die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen des § 6b Abs. 3 BDSG aF unabhängige Erlaubnisnorm dar (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 23, BAGE 163, 239).

Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Erhebung der Daten sei nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF erlaubt, weil diese Bestimmung wegen des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine permanente Überwachung des Arbeitsverhaltens der Klägerin nicht zugelassen habe, fehlt es an einer daran anschließenden Prüfung, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Zudem tragen die vom Landesarbeitsgericht bislang getroffenen Feststellungen seine Würdigung, die Erhebung der Daten sei nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig, nicht.

a) Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Dabei gehört zur Durchführung die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt, zur Beendigung iSd. Kündigungsvorbereitung die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann (BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – Rn. 28, BAGE 159, 380; 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16 – Rn. 26, BAGE 159, 278).

aa) § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF entfaltet zwar keine „Sperrwirkung“ dergestalt, dass eine anlassbezogene Datenerhebung durch den Arbeitgeber ausschließlich zur Aufdeckung von Straftaten zulässig wäre und nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig sein könnte. Der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss aber auch im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem – dort gleichfalls verankerten – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser Grundsatz verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (vgl. hierzu ausführlich BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – Rn. 30 mwN, BAGE 159, 380). Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen.

Danach muss im Fall einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme, die auf § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF gestützt werden soll, der auf konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer schwerwiegenden, nicht notwendig strafbaren Pflichtverletzung bestehen. In einem solchen Fall ist eine Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF unzulässig (BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – aaO).

bb) Hieraus folgt zugleich, dass weniger intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts – zumal einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung – zulässig sein können. Das gilt vor allem für nach abstrakten Kriterien durchgeführte, keinen Arbeitnehmer besonders unter Verdacht stellende offene Überwachungsmaßnahmen, die der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen sollen. Solche präventiven Maßnahmen können sich schon aufgrund des Vorliegens einer abstrakten Gefahr als verhältnismäßig erweisen, wenn sie keinen solchen psychischen Anpassungsdruck erzeugen, dass die Betroffenen bei objektiver Betrachtung in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt sind (dazu BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – Rn. 31 mwN, BAGE 159, 380).

cc) Eine Unverhältnismäßigkeit der Datenerhebung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF dürfte danach zwar dann anzunehmen sein, wenn es sich um eine verdeckte Videoüberwachung gehandelt hätte, ohne dass ein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bestand. Unstreitig war der Klägerin jedoch bekannt, dass zumindest der öffentlich zugängliche Bereich der Lottoannahmestelle, insbesondere auch der Kassenbereich videoüberwacht wurde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ihr die Videoüberwachung im Büroraum, in dem sich der Tresor befand, nicht bekannt war, liegen nicht vor.

Bei einer offenen Videoüberwachung käme es auch nicht darauf an, ob der Klägerin ausdrücklich eröffnet wurde, dass die Überwachung sich – auch – gegen sie richtete und ihr Verhalten an der Kasse, insb. die Eingabe bestimmter Beträge in die Kasse erfasste. Selbst wenn dies nicht geschehen sein sollte, wäre die damit verbundene Erhebung ihrer entsprechenden personenbezogenen Daten nicht allein aus diesem Grund unverhältnismäßig gewesen. Zwar stellt eine berechtigte Erwartung des Betroffenen in Bezug auf die Privatsphäre einen bedeutenden Faktor im Rahmen der Interessenabwägung dar. Von einer solchen „Privatheitserwartung“ konnte aber keine Rede sein, wenn die Klägerin angesichts ihres Wissens um die Überwachung des Kassenbereichs zumindest damit rechnen musste, dass mithilfe der Videoaufzeichnungen auch vorsätzliche Pflichtverletzungen durch Beschäftigte verhindert bzw. aufgedeckt und verfolgt werden konnten und sollten. In diesem Fall wäre die Klägerin nicht heimlich überwacht worden. Etwas anderes müsste allenfalls dann gelten, wenn der Beklagte die Klägerin – wofür nichts ersichtlich ist – in Bezug auf die Erfassung ihres Verhaltens an der Kasse und ihres sonstigen Arbeitsverhaltens „in Sicherheit gewiegt“ hätte (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 44 mwN, BAGE 163, 239).

dd) Eine Unverhältnismäßigkeit der Datenerhebung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF läge aber auch dann vor, wenn die Videoaufzeichnungen einen solchen psychischen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugt hätten, dass sie als eine der verdeckten Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensive Maßnahme anzusehen wären, ohne dass ein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bestand. Dies wäre jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine lückenlose, dauerhafte sowie sehr detaillierte Erfassung des Verhaltens der Klägerin während ihrer gesamten Arbeitszeit stattgefunden hätte, so dass sie davon ausgehen musste, dass jede ihrer Bewegungen überwacht wurde. In diesem Fall hätte für die Klägerin – vergleichbar mit der Situation einer verdeckten Überwachung – keine Möglichkeit einer unbewachten und ungestörten Wahrnehmung ihres Persönlichkeitsrechts bestanden.

b) Nach den bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob durch die Videoüberwachung ein derartiger psychischer Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugt wurde, dass die Klägerin bei objektiver Betrachtung in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt wurde. Die bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Annahme, die Videoüberwachung sei ohne Vorliegen eines konkreten Verdachts als unverhältnismäßig anzusehen, deshalb nicht.

Das Landesarbeitsgericht hat weder konkrete Feststellungen zur Größe der zur Lottoannahmestelle gehörenden Räumlichkeiten noch dazu getroffen, welcher räumliche Bereich der Lottoannahmestelle in welchem Umfang durch die einzelnen Videokameras konkret erfasst wurde. Es fehlt zudem an Feststellungen dazu, ob es – den Arbeitnehmerinnen bekannte – überwachungsfreie Zonen gab, in denen diese sich während der Arbeitsschichten aufhalten konnten, und wie groß diese Zonen ggf. waren. Unklar ist außerdem, ob alle oder nur ein Teil der von den Arbeitnehmerinnen ausgeführten Tätigkeiten erfasst wurden. Ferner hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, wie oft und zu welchem Zweck der Büroraum betreten wurde. Darüber hinaus fehlen Feststellungen dazu, ob während der Arbeitsschichten – teilweise – mehrere Arbeitnehmerinnen gleichzeitig anwesend waren, wo die Mitarbeiterinnen ihre Ruhepausen (vgl. § 4 ArbZG) wahrgenommen haben und ob sie auch während dieser Pausen durch die Kameras überwacht wurden.

  1. Aufgrund der vom Landesarbeitsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die auf Zahlung von Schadensersatz iHv. 976,20 € wegen angeblicher Pflichtverletzungen der Klägerin am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 gerichtete Widerklage begründet ist. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) im Kostenpunkt und im Übrigen insoweit, als das Landesarbeitsgericht die Widerklage des Beklagten wegen des von diesem begehrten Schadensersatzes iHv. 976,20 € abgewiesen hat, sowie im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sind folgende Hinweise veranlasst:
a) Das Landesarbeitsgericht wird dem Beklagten aufzugeben haben, eindeutig zu erklären, welche Handlungen der Klägerin am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 aufgezeichnet wurden und welche konkreten Vorwürfe er insoweit gegen die Klägerin erhebt, wobei zu beachten sein wird, dass die Klägerin ausweislich der vom Beklagten mit Schriftsatz vom 21. April 2016 vorgelegten „Anlage zum Kassenrevisionsbericht“ am 8. Januar 2016 möglicherweise nicht gearbeitet hat, weil sich dort für beide Arbeitsschichten an diesem Tag in der Rubrik „Unterschrift“ der Name einer anderen Arbeitnehmerin findet.

Sodann wird die Klägerin sich zu den vom Beklagten erhobenen Vorwürfen zu erklären haben. Sofern die Klägerin behaupten sollte, Warenverkäufe immer ordnungsgemäß registriert und die vereinnahmten Gelder stets vollständig in die Kasse gelegt zu haben, könnte der Hinweis veranlasst sein, dass sie sich zu ihrer Entlastung mit der Inaugenscheinnahme der betreffenden Videosequenzen einverstanden erklären kann.

b) Das Landesarbeitsgericht wird zudem Feststellungen zu den unter Rn. 41 aufgeführten Umständen zu treffen haben. Insoweit wird den Parteien Gelegenheit zu entsprechendem Vorbringen zu geben sein.

c) Sollte das Landesarbeitsgericht danach die Datenerhebung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF für zulässig halten, wird es Folgendes zu berücksichtigen haben:

aa) Sofern zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden. Der Arbeitgeber darf deshalb grundsätzlich alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potentiellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung und/oder das Bestehen von Schadensersatzansprüchen zu erfüllen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 22 mwN, BAGE 163, 239).

bb) Dabei kommt es auf die Frage, ob die rechtmäßige Erhebung von Daten (nur) auf § 32 Abs. 1 BDSG aF oder (zugleich) auf § 6b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG aF beruhte, nicht an. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF stellt – wie bereits unter Rn. 33 dargestellt – auch für die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen nach § 6b Abs. 3 BDSG aF unabhängige Erlaubnisnorm dar (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 23 mwN, BAGE 163, 239). Sofern nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 22 mwN, aaO). Erst recht gilt das für die von § 6b BDSG aF nicht erfasste Datenerhebung im Bereich nicht öffentlich zugänglicher Räume (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 848/15 – Rn. 43, BAGE 156, 370).

cc) Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF hängt auch die Frage, ob personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet oder genutzt werden dürfen – ebenso wie die Zulässigkeit der Datenerhebung – davon ab, ob dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Auch die Verarbeitung und Nutzung der Daten steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, dh. sie muss geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 24 mwN, BAGE 163, 239).

dd) Der bei der Anwendung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF herangezogene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt dem durch die Richtlinie 95/46/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 7 der Charta der Grundrechte der europäischen Union und Art. 8 der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Schutzniveau für die von einer Datenerhebung Betroffenen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 25 mwN, BAGE 163, 239).

ee) Ferner wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass ausschließlich die Verarbeitung der relevanten Sequenzen zu beurteilen ist und nicht diejenige von Passagen, die nicht in den Rechtsstreit eingeführt werden sollen (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 26, BAGE 163, 239).

(1) Die Speicherung von Bildsequenzen, die geeignet sind, den mit einer rechtmäßigen Videoaufzeichnung verfolgten Zweck zu fördern, bleibt, weil es sich oft um die einzigen, regelmäßig aber um die „zuverlässigsten“ Erkenntnis- und Beweismittel handelt, grundsätzlich erforderlich, bis der Zweck entweder erreicht oder aufgegeben oder nicht mehr erreichbar ist. Die Eignung beurteilt sich objektiv. Sie besteht oder besteht nicht, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sie erkannt hat. Eine etwaige Pflicht, das gesamte Bildmaterial zeitnah zu sichten, würde allein dazu dienen, die – eindeutig – nicht zweckrelevanten Passagen zu identifizieren und zu löschen. Ihre Missachtung ließe den Bedarf an den zweckrelevanten Passagen nicht entfallen. Diese dürften auch nach einer „Bedarfsklärung“ – zumindest vorerst – gespeichert bleiben (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 27 mwN, BAGE 163, 239).

(2) Das Landesarbeitsgericht hat bislang keine Tatsachen festgestellt, die den Schluss zuließen, dem Beklagten sei es mit der Speicherung der Videoaufzeichnungen am 17. und 19. Dezember 2015 sowie am 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 nicht – mehr – darum gegangen, seine Rechte gegenüber der Klägerin aufgrund möglicher Pflichtverletzungen durchzusetzen. Es hat – im Gegenteil – selbst angenommen, dieser habe das Bildmaterial zu eben diesem Zweck bis in den Februar 2016 aufbewahrt. Der Zweck war auch nach wie vor erreichbar. Etwaige Kündigungsrechte waren noch nicht verwirkt und mögliche Schadensersatzansprüche weder verjährt noch – soweit ersichtlich – verfallen. Damit blieb die Speicherung der relevanten Sequenzen erforderlich.

(3) Eine noch erforderliche Speicherung von Aufzeichnungsteilen, die vorsätzliche Handlungen gegen das Eigentum oder das Vermögen des Arbeitgebers belegen (sollen), ist nur ganz ausnahmsweise unangemessen und damit nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat den Ausführungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 23. August 2018 (- 2 AZR 133/18 – Rn. 29 ff., BAGE 163, 239) an.

(a) Der rechtmäßig gefilmte Vorsatztäter ist in Bezug auf die Aufdeckung und Verfolgung seiner materiell-rechtlich noch verfolgbaren Tat nicht schutzwürdig. Er wird dies auch nicht durch bloßen Zeitablauf. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann nicht zu dem alleinigen Zweck in Anspruch genommen werden, sich vor dem Eintritt von Verfall, Verjährung oder Verwirkung der Verantwortung für vorsätzlich rechtswidriges Handeln zu entziehen. Zugleich verliert das in Bezug auf vorsätzliche Schädigungshandlungen beträchtliche, durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützte Verarbeitungs- und Nutzungsinteresse des Arbeitgebers nicht an Gewicht, solange die Rechtsverfolgung materiellrechtlich nicht ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass gedeihliche Arbeitsvertragsbeziehungen von beiderseitigem Vertrauen getragen sein müssen. Dem widerspräche es, wenn der Arbeitgeber gezwungen wäre, die Aufzeichnungen aus einer offenen, vorrangig zu präventiven (Verhinderung von Pflichtverletzungen) und nur bei Verfehlung dieses Primärziels zu repressiven Zwecken (Aufklärung und Verfolgung von Pflichtverletzungen) eingesetzten Videoüberwachung laufend vollumfänglich einzusehen, um relevante Sequenzen weiterverarbeiten zu dürfen. Das hielte ihn zu ständigem Misstrauen an. Zugleich würde durch einen faktischen Zwang zu zeitnaher Aufdeckung und „Sanktionierung“ von Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerschutz durch die Vorgaben des Datenschutzrechts in sein Gegenteil verkehrt.

Die Speicherung – nach wie vor – erforderlicher Sequenzen kann deshalb nur unangemessen sein, wenn das Verhalten des Arbeitgebers objektiv den Schluss zulässt, er wolle diese Passagen nicht allein zur Rechtsverfolgung verwenden. Es muss die greifbare Gefahr eines Missbrauchs personenbezogener Daten bestehen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 30 mwN, BAGE 163, 239).

(b) So kann es zwar auch liegen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, der Arbeitgeber wolle sich mögliche Kündigungsgründe oder zum Schadensersatz verpflichtende Sachverhalte „aufsparen“, um dadurch den Arbeitnehmer unter Druck zu setzen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 31 mwN, BAGE 163, 239). Das Landesarbeitsgericht hat bislang keine Tatsachen festgestellt, die auf eine solche Absicht des Beklagten hindeuten könnten. Hierfür genügt es nicht, dass er mit der Auswertung der Videoaufzeichnungen vom 17. und 19. Dezember 2015 sowie vom 8., 13., 23. und 29. Januar 2016 gewartet hat, bis er dazu nach stichprobenartigen Überprüfungen der Warenaufschläge einen Anlass sah. Das gilt umso mehr, als er nach der Feststellung eines Warenschwunds „ohne Umschweife“ mit der Analyse des Bildmaterials begonnen und anschließend unverzüglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin betrieben hat.

Heimliche Videoaufnahme zur Aufdeckung von Missständen im Pflegeheim (Ls)

(Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 24. September 2019 – 4 U 1401/19 –)

  1. Bei heimlichen Bild- und Tonaufnahmen spricht eine Vermutung für deren Unzulässigkeit. Im Einzelfall kann aber das Interesse, auf einen Missstand hinzuweisen, dem Anspruch der Betroffenen auf Schutz ihrer Rechte am Bild und am gesprochenen Wort vorrangig sein.
  2. Wird in einem Altenheim eine rechtswidrige Verabreichung von Medikamenten in verpixelter Form und unter Verfremdung der Stimme dokumentiert und anschließend bei einem Fernsehsender publiziert, kann das auf Grund des Interesses, auf diesen offensichtlichen Missstand hinzuweisen, berechtigt sein. Die betroffene Mitarbeiterin ist in der konkreten Situation nicht vergleichbar schutzbedürftig wie ein Bewohner der Einrichtung, zumal sie nicht erkennbar dargestellt wird.

(nicht amtliche Leitsätze)

Freiwilligkeit einer Einwilligung zur Werbung bei Koppelung mit Gewinnspielteilnahme

(Oberlandesgericht Frankfurt/M., Urteil vom 27. Juli 2019 – 6 U 6/19 –)

Ist die Teilnahme an einem Gewinnspiel von der Einwilligung in den Erhalt künftiger E-Mail-Werbung abhängig gemacht worden, bestehen gegen die Wirksamkeit dieser Einwilligung jedenfalls dann keine Bedenken, wenn der Verbraucher der Werbung durch nicht mehr als acht konkret bezeichnete Unternehmen zugestimmt hat und der Geschäftsbereich des werbenden Unternehmens hinreichend klar beschrieben worden ist (im Streitfall: „Strom & Gas“). Die Einwilligung in die Werbung dieses Unternehmens ist auch unabhängig davon wirksam, ob der Geschäftsbereich der anderen bezeichneten Unternehmen ausreichend klar beschrieben worden ist.

Aus den Gründen:
„Freiwillig“ ist gleichbedeutend mit „ohne Zwang“ iSd des Art. 2 lit. h RL 95/46/EG (engl. beide Male „freely“). Der Betroffene muss also eine echte oder freie Wahl haben und somit in der Lage sein, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden (Erwägungsgrund 42 DS-GVO). Insbesondere darf auf den Betroffenen kein Druck ausgeübt werden. Ein bloßes Anlocken durch Versprechen einer Vergünstigung, etwa – wie hier – einer Teilnahme an einem Gewinnspiel, reicht dafür aber nicht aus (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 37. Aufl. 2019, UWG § 7 Rn. 149 f.). Einer Freiwilligkeit steht nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. GRUR-RR 2016, 421 – Überschaubare Partnerliste, juris-Rn. 18; GRUR-RR 2016, 252 – Partnerliste, juris-Rn. 24) nicht entgegen, dass die Einwilligungserklärung mit der Teilnahme an einem Gewinnspiel verknüpft ist. Der Verbraucher kann und muss selbst entscheiden, ob ihm die Teilnahme die Preisgabe seiner Daten „wert“ ist.

Amt des Datenschutzbeauftragten neben dem Amt als Vorsitzender des Betriebsrats möglich

(Landesarbeitsgericht Sachsen, Urteil vom 19. August 2019 – 9 Sa 268/18 n. rk. –)

  1. Die Anweisung einer Datenschutzaufsichtsbehörde kann nur Wirkung entfalten für in ihrem Zuständigkeitsgebiet ansässige Verantwortliche. Mit dem „Verlangen der Aufsichtsbehörde“ i. S. d. § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG a. f. kann daher nur das Verlangen der zuständigen Aufsichtsbehörde gemeint sein.
  2. Wird jemand infolge von Mehrfachbestellungen als sog. Konzerndatenschutzbeauftragter tätig, wäre die – gegen den Willen des Beauftragten erfolgte – Beendigung von einem Teil der Bestellungen und damit die Beendigung des Konzepts eines konzerneinheitlichen Datenschutzbeauftragten kein wichtiger Grund, auch die anderen Bestellungen zu beenden.
  3. Im Anschluss an die Rechtsprechung des BAG zum Verhältnis von Datenschutzbeauftragten und Betriebsratsmitgliedschaft sieht das Gericht keine Inkompatibilität zwischen den Ämtern auch dann, wenn der Datenschutzbeauftragte die Funktion des Betriebsratsvorsitzenden wahrnimmt.

(nicht amtliche Leitsätze)

Sachverhalt:
Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob der Kläger unter dem Datum des 16.06.2015 wirksam als Beauftragter für Datenschutz bei der Beklagten bestellt wurde oder die Rechtsstellung als Beauftragter für Datenschutz durch den Widerruf der Beklagten vom 01.12.2017 bzw. vorsorgliche Abberufung vom 25.05.2018 beendet wurde.
Der am …1972 geborene Kläger ist seit dem 01.01.2009 bei der Beklagten beschäftigt. Die Betriebszugehörigkeit ist seit dem 01.11.1993 anerkannt worden. Der Kläger ist in der Funktion als freigestellter Betriebsratsvorsitzender der Beklagten sowie als stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender in allen drei … Unternehmen in … tätig.
Die Beklagte ist Teil des … Konzerns und 100%ige Tochtergesellschaft der … GmbH (vormals AG), welche wiederum eine 100%ige Tochtergesellschaft der … mit Sitz in … ist. Vorstand der … ist Herr …, der zugleich auch Vorstandsvorsitzender der … (… AG) mit Sitz in … ist, der Muttergesellschaft der Beklagten.
Der Kläger wurde von der Beklagten und den weiteren in Deutschland ansässigen Gesellschaften … GmbH, … GmbH und … GmbH mit Wirkung zum 01.06.2015 zum Datenschutzbeauftragten bestellt mit dem Ziel, einen konzerneinheitlichen Datenschutzstandard zu erreichen. Aus diesen Gründen erfolgte die Bestellung des Klägers als betrieblicher Datenschutzbeauftragter bei der Beklagten und als externer Datenschutzbeauftragter bei der … GmbH (vormals AG), der … GmbH und der ebenfalls in … ansässigen … GmbH.

In Auswertung der Umfrage bei Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern zum Thema Datenübermittlung ins außer europäische Ausland und zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten richtete sich der .Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (TLfDI) mit Schreiben vom 04.09.2017 an die Muttergesellschaft der Beklagten – die … GmbH (vormals AG) – unter Bezug auf § 4 f Abs. 2 BSDG mit dem Hinweis, dass bei der Bestellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten beachtet werden müsse, dass der Kandidat die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitze. Aufgrund der hauptberuflichen Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten als Betriebsratsvorsitzender wurde die Auffassung vertreten, dass Zweifel bestünden hinsichtlich der Zuverlässigkeit aufgrund bestehender Interessenkollisionen. Hierzu hat die … GmbH (vormals AG) mit Schreiben vom 27.09.2017 Stellung genommen und unter Bezug auf das Urteil des BAG vom 23.03.2011 – 10 AZR 562/09 – die Auffassung vertreten, dass keine Inkompatibilität seitens des Klägers vorliege und von einer Eignung als betrieblicher Datenschutzbeauftragter auszugehen sei.
Daraufhin hat der TLfDI mit Schreiben vom 24.11.2017 unter Bezug auf § 4 f BDSG nunmehr die Feststellung getroffen, dass der Kläger nicht über die notwendige Zuverlässigkeit verfüge, die für die Bestellung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten notwendig sei. Es wird ausgeführt, eine Inkompatibilität mit dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden liege vor. Hervorgehoben durch Fettschrift wird erklärt: „Herr … ist nicht wirksam als betrieblicher Datenschutzbeauftragter bestellt worden. … AG hat demnach seit dem 01.06.2015 keinen bDSG.“ Es wurde nochmals die Gelegenheit gegeben, bis zum 03.01.2018 zum Sachverhalt Stellung zu nehmen. Des Weiteren wird in dem Schreiben erklärt, dass mit Ablauf dieser Frist der Betrieb damit rechnen müsse, dass der Landesbeauftragte die verantwortliche Stelle verpflichte, einen nach § 4 f BDSG geeigneten betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass nach § 43 Abs. 1 BDSG ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4 f Abs. 1 Satz 1 oder 2 einen Beauftragten für Datenschutz nicht, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig bestellt. Diese Ordnungswidrigkeit könne mit einer Geldbuße bis 50.000,00 € geahndet werden.

Im Anschluss an dieses Schreiben wurde dem Kläger mit Schreiben vom 01.12.2017 unter Bezugnahme auf die Erklärung der Landesbehörde mitgeteilt, dass eine wirksame Bestellung als betrieblicher Datenschutzbeauftragter zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen sei und zur Vermeidung eines Bußgeldes der Aufforderung des TLfDI unverzüglich Folge geleistet und ein geeigneter Datenschutzbeauftragter bestellt werde. Hilfsweise wurde die Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten vom 16.06.2015 nach § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG für alle vier Unternehmen mit sofortiger Wirkung zum 01.12.2017 widerrufen. Der Kläger hat den Empfang des Schreibens am 01.12.2017 durch Unterschrift bestätigt.
Als neue Datenschutzbeauftrage ist sodann mit Wirkung zum 01.12.2017 Frau .XX.. für alle deutschen Standorte der Unternehmen bestellt worden.
Nach dem Inkrafttreten der DS-GVO wurde der Kläger mit einem weiteren Schreiben der Beklagten vom 25.05.2018 aus betriebsbedingten Gründen gemäß Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DS-GVO vorsorglich als Datenschutzbeauftragter abberufen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit vorliegender Klage.

Er hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, am 16.06.2015 wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt und durch die Schreiben vom 01.12.2017 und vom 25.05.2018 auch nicht wirksam abberufen worden zu sein.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:

  1. festzustellen, dass seine Rechtstellung als Beauftragter für den Datenschutz der Beklagten nicht durch den Widerruf der Beklagten vom 01.12.2017 beendet worden ist,
  2. festzustellen, dass seine Rechtstellung als Beauftragter für den Datenschutz der Beklagten auch nicht durch den Widerruf der Beklagten vom 25.05.2018 beendet worden ist.
    Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
    Sie hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass sich die durch die für die Kontrolle der Durchführung des Datenschutzes zuständige Aufsichtsbehörde getroffene Feststellung, dass der Kläger nicht wirksam als betrieblicher Datenschutzbeauftragter bestellt worden sei, der arbeitsgerichtlichen Überprüfung entziehe. Weder die Parteien noch die Arbeitsgerichte seien zur Überwachung und Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes berufen.

Im Übrigen sei der Ansicht des Landesbeauftragten, demzufolge dem Kläger als Betriebsratsvorsitzender die Zuverlässigkeit als Datenschutzbeauftragter fehle, beizutreten. Da der Kläger als Betriebsratsvorsitzender nach § 80 Abs. 1 BetrVG den betrieblichen Datenschutz zu überwachen habe, er jedoch auch gleichzeitig konzernweiten Datenschutz entwickeln müsse, verstoße dies gegen den Grundsatz, dass niemand „Richter in eigener Sache“ sein dürfe.
Unabhängig von der Wirksamkeit der Bestellung sei eine solche durch das Schreiben vom 01.12.2017 aber jedenfalls wirksam widerrufen worden. Das im Schreiben des Thüringer Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit vom 24.11.2017 zum Ausdruck gebrachte Abberufungsverlangen stelle einen wichtigen Grund für die Abberufung dar. Der Umstand, dass nicht die sächsische Aufsichtsbehörde, sondern der thüringische Datenschutzbeauftragte die Abberufung verlangt habe, sei irrelevant, da die Thüringer Behörde die für die Muttergesellschaft zuständige Behörde sei. Ein weiterer wichtiger Grund sei darin zu sehen, dass der Wegfall des Klägers als betrieblicher Datenschutzbeauftragter für die …er Gesellschaften des … Konzerns wegen des Verlangens der Aufsichtsbehörde dazu geführt habe, dass die Muttergesellschaft keinen konzernweiten einheitlichen Datenschutzbeauftragten mehr habe und dieses Ziel deshalb nicht mehr umgesetzt werden könne.

Sofern man auch dies anders sehen wolle, so sei der Kläger aber jedenfalls spätestens durch das Schreiben vom 25.05.2018 wirksam als Datenschutzbeauftragter abberufen worden. Nach Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der am 25.05.2018 in Kraft getretenen DS-GVO dürfe ein Datenschutzbeauftragter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden. Im Umkehrschluss folge hieraus, dass ein Datenschutzbeauftragter aus betriebsbedingten Gründen sehr wohl abberufen werden dürfe. Das Arbeitsgericht XX. habe zwischenzeitlich entschieden, dass der Kläger bei der …er Muttergesellschaft und der Schwestergesellschaft X jedenfalls am 01.12.2017 wirksam als Datenschutzbeauftragter abberufen worden sei. Deshalb lasse sich der strategische Ansatz der Bestellung eines konzerneinheitlichen Datenschutzbeauftragten in Person des Klägers nicht mehr verwirklichen. Dies stelle einen betriebsbedingten Grund für die Abberufung des Klägers als Datenschutzbeauftragter auch bei der Beklagten dar.

Mit Urteil vom 27.06.2018 hat das Arbeitsgericht Dresden nach den Klageanträgen erkannt. Wegen der Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf das Urteil (Bl. 127 bis 136 d. A.) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 19.07.2018 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 23.07.2018 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.10.2018 – mit am 08.10.2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags greift die Beklagte das Urteil des Arbeitsgerichts im Wesentlichen mit Rechtsausführungen an.
Es verbleibe dabei, dass der Kläger bereits nicht wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden sei. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte könne nicht kraft gesetzlichen Auftrags auf der einen Seite als Berater des Arbeitgebers als für den Datenschutz verantwortliche Stelle agieren und auf der anderen Seite als Betriebsratsmitglied die Einhaltung des Datenschutzes überwachen.

Unterrichtung und Beratung der i. S. d. Datenschutzrechts verantwortlichen Stelle einerseits und Überwachung der für den Datenschutz verantwortlichen Stelle andererseits würden sich ausschließen, da der Kläger ansonsten als Mitglied des Betriebsrats selbst zu prüfen habe, ob aufgrund seiner Unterrichtung und Beratung implementierte Datenschutzregelungen rechtskonform seien. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liege damit sehr wohl eine Inkompatibilität vor.
Eine entgegen dem soeben Gesagten doch wirksame Bestellung des Klägers zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten habe dann aber jedenfalls durch den Widerruf vom 01.12.2017 sein Ende gefunden. Es liege ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 BGB vor und zudem auch ein Abberufungsverlangen durch die … Aufsichtsbehörde i. S. d. § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG a. f.

Unabhängig hiervon sei der Kläger von seiner Stellung als Datenschutzbeauftragter der Beklagten dann aber jedenfalls durch den Widerruf vom 25.05.2018 abberufen worden. Zu Unrecht stelle das Arbeitsgericht insoweit darauf ab, dass gemäß den §§ 38 Abs. 2, 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG n. f. auch nach Inkrafttreten der DSGVO eine Abberufung des Datenschutzbeauftragten nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig sei. Richtig sei vielmehr, dass nach Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DS-GVO bereits ein betriebsbedingter Grund für die Abberufung des Klägers ausreiche und ein solcher, da sich die von Anfang an verfolgte Intention der Bestellung eines konzerneinheitlichen Datenschutzbeauftragten nunmehr nicht mehr aufrechterhalten lasse, zweifelsfrei auch gegeben sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 27.06.2018 – 10 Ca 234/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Den Überlegungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den Ausführungen der Beklagten im Berufungsrechtszug tritt er entgegen.

Aus den Gründen:
Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte, gemäß den §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete, insgesamt daher zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht nach den Klageanträgen erkannt. Der Vortrag der Beklagten im Berufungsrechtszug rechtfertigt auch in seiner Gesamtheit keine andere Beurteilung. Zusammenfassend gilt insoweit Folgendes:

  1. Mit Schreiben vom 16.06.2015 wurde der Kläger wirksam zum Datenschutzbeauftragten der Beklagten bestellt. Hieran bestehen für die Kammer keine ernsthaften Zweifel.
    Der Einwand der Beklagten, die Unwirksamkeit der Bestellung des Klägers als Datenschutzbeauftragter folge daraus, dass dieser nicht über die notwendige Zuverlässigkeit verfüge, die für die Bestellung notwendig sei, insoweit liege eine Inkompatibilität mit dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden vor, überzeugt dagegen nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.03.2011 (– 10 AZR 562/09 [BB 2011, 2683 m. BB-Komm. Wybitul] –, AP Nr. 3 zu § 4 f BDSG m. w. N.) ausdrücklich festgestellt, dass die bloße Mitgliedschaft im Betriebsrat diese Person für das Amt des Beauftragten für den Datenschutz nicht unzuverlässig macht und insoweit grundsätzlich keine Inkompatibilität zwischen diesen beiden Ämtern besteht, und diese Rechtsauffassung auch ausführlich begründet. Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt sich die erkennende Kammer ausdrücklich an. Warum vorliegend etwas anderes gelten soll, nur weil der Kläger nicht „einfaches“ Betriebsratsmitglied ist, sondern Betriebsratsvorsitzender, erschließt sich dem Gericht ebenfalls nicht. Warum dies einen Unterschied machen soll, wird auch weder von der Beklagten noch vom … Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, der ebenfalls dieser Auffassung zu sein scheint, näher begründet.
  2. Die hiernach wirksame Bestellung des Klägers zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten hat auch nicht aufgrund des Widerrufs vom 01.12.2017 sein Ende gefunden. Nach alter, am 01.12.2017 geltender Rechtslage konnte gemäß § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG a. f. die Bestellung zum Beauftragten für den Datenschutz entweder in entsprechender Anwendung von § 626 BGB oder bei nicht öffentlichen Stellen auch auf Verlangen der Aufsichtsbehörde widerrufen werden.
    Weder von dem einen noch von dem anderen kann jedoch vorliegend ausgegangen werden.

a) Die Beklagte kann sich vorliegend nicht mit Erfolg darauf berufen, der Widerruf sei „auf Verlangen der Aufsichtsbehörde“ erfolgt.

aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob in dem Schreiben des ThürLfDI. an die Muttergesellschaft der Beklagten, also die .XX AG, ein solches Verlangen auf Widerruf der Bestellung hinreichend klar zum Ausdruck kommt. Wenn man dies – und hierfür sprechen gute Gründe – mit der Beklagten annehmen wollte, so bleibt gleichwohl zu konstatieren, dass ein solches Verlangen der Aufsichtsbehörde ausschließlich in Bezug auf die Schwestergesellschaft X und die Muttergesellschaft der Beklagten zum Ausdruck gebracht wurde, nicht hingegen gegenüber der Beklagten. Dies verwundert nicht, weil der TLfDI selbstredend nur für Thüringen zuständig ist, der Freistaat Sachsen hingegen über einen eigenen Datenschutzbeauftragten verfügt. Unstreitig hat dieser jedoch der Beklagten gegenüber kein Verlangen auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten zum Ausdruck gebracht.

bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es auch nicht „aus Gründen der Rechtssicherheit“ geboten, das vom … Datenschutzbeauftragten gegenüber der in … ansässigen Muttergesellschaft der Beklagten zum Ausdruck gebrachte Abberufungsverlangen – in welcher Form auch immer – auf die Beklagte zu übertragen.

Das Argument der Beklagten, was in … auf Grundlage bundeseinheitlicher Regelung rechtmäßig sei, nämlich der Widerruf der Bestellung, könne in Sachsen auf Grundlage der identischen bundeseinheitlichen Regelung bei gleicher Sachverhaltskonstellation nicht unzulässig sein, greift zu kurz. Es gibt gerade keine gleiche Sachverhaltskonstellation, und dies bereits deshalb nicht, weil der Sächsische Datenschutzbeauftragte – im Gegensatz zu seinem Kollegen – ein Widerrufsverlangen unstreitig zu keiner Zeit auch nur im Ansatz geäußert hat. Man stelle sich nur mal vor, der Sächsische Datenschutzbeauftragte sei insoweit bewusst nicht aktiv geworden, weil er – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und im Gegensatz zum …Thüringer Datenschutzbeauftragten – eine grundsätzliche Inkompatibilität zwischen dem Amt des Datenschutzbeauftragten und dem des Betriebsratsvorsitzenden gerade nicht zu erkennen vermochte: Folgte man der Auffassung der Beklagten, so wäre auch in diesem Fall für die Beklagte mit Sitz in X nicht das fehlende Verlangen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, sondern das vom Kollegen aus Thüringen ausschließlich gegenüber den Mutter- bzw. Schwestergesellschaften der Beklagten zum Ausdruck gebrachte Verlangen maßgeblich. Dieses Beispiel zeigt, dass die Argumentation der Beklagten unmöglich richtig sein kann. Mit „Verlangen der Aufsichtsbehörde“ i. S. d. § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG a. f. kann daher nur das Verlangen der zuständigen Aufsichtsbehörde gemeint sein. Ein Verlangen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, die Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten zu widerrufen, hat es gegenüber der Beklagten jedoch unstreitig zu keiner Zeit gegeben.

b) Für den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten vom 01.12.2017 kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf eine entsprechende Anwendung von § 626 BGB berufen.

aa) Aufgrund der Verweisung in § 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG a. f. muss für die Abberufung ein wichtiger Grund vorliegen, der es der Beklagten aufgrund von Tatsachen und unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls sowie unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar macht, den Kläger als betrieblichen Datenschutzbeauftragten auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterhin einzusetzen. Als wichtige Gründe kommen insbesondere solche in Betracht, die mit der Funktion und Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten zusammenhängen und eine weitere Ausübung dieser Tätigkeit unmöglich machen oder sie zumindest erheblich gefährden, beispielsweise ein Geheimnisverrat oder eine dauerhafte Verletzung der Kontrollpflichten als Datenschutzbeauftragter (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2011 – 10 AZR 562/09 –, a. a. O. m. w. N.).

bb) Ein wichtiger Grund in diesem Sinne liegt nicht vor.

(1) Das Schreiben des ThürLfDI an die Muttergesellschaft der Beklagten vom 24.11.2017 stellt jedenfalls keinen wichtigen Grund dar. Insoweit kann auf obige Ausführungen auf den Seiten 10 f. verwiesen werden. Für die im Freistaat Sachsen ansässige Beklagte gibt es ein solches Verlangen nicht, und zwar bereits nicht vom Thüringer Landesbeauftragten und erst recht nicht vom Sächsischen Datenschutzbeauftragten.

(2) Ein wichtiger Grund ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte ihr Konzept eines konzerneinheitlichen Datenschutzbeauftragten nicht mehr verwirklichen kann.

Es mag sein, dass die Bestellung ein und desselben Datenschutzbeauftragten für alle in Deutschland ansässigen Gesellschaften des Konzerns zum Ziel hatte, konzerneinheitliche Datenschutzstandards zu erreichen, Datenschutzbestimmungen konzerneinheitlich zu verwirklichen und einheitliche Datenschutzkonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Die Bestellung ein und derselben Person konzernweit mag insoweit wohl überlegt, sinnvoll und auch nützlich sein. Die Gefährdung dieses Ziels durch den Widerruf der Bestellung des Klägers als Datenschutzbeauftragten für die in … ansässigen Gesellschaften stellt jedoch keinen wichtigen Grund dar, auch seine Bestellung zum Beauftragten für den Datenschutz für die Beklagte zu widerrufen. Zwar mag die Beklagte ihr ursprüngliches Ziel, nämlich durch Bestellung ein- und derselben Person als Datenschutzbeauftragten konzerneinheitliche Datenschutzstandards zu gewährleisten, nicht mehr erreichen. Dies hat jedoch nichts zu tun mit der Funktion und Tätigkeit des Klägers als Datenschutzbeauftragter für die Beklagte. Dass die Abberufung bei einigen Gesellschaften des Konzerns eine weitere Ausübung der Tätigkeit des Klägers als Datenschutzbeauftragter für die Beklagte unmöglich machen oder sie zumindest erheblich gefährden würde, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht behauptet.

  1. Schließlich erweist sich auch der Widerruf der Bestellung vom 25.05.2018 nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 BDSG n. f. als unwirksam.

a) Die Abberufung des Datenschutzbeauftragten ist in der DS-GVO nicht geregelt. In Art. 38 Abs. 3 Satz 2 findet sich lediglich der Verweis, dass der Datenschutzbeauftragte nicht wegen der Erfüllung seiner Aufgaben abberufen oder benachteiligt werden darf. Damit ist aber nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine Abberufung des Datenschutzbeauftragten tatsächlich erfolgen kann. Der deutsche Bundesgesetzgeber hat die Abberufung des betrieblichen oder behördlichen Datenschutzbeauftragten in Anlehnung an das bisherige Recht in § 6 Abs. 4 und § 38 Abs. 2 BDSG n. f. geregelt. Da die Art. 37 bis 39 DS-GVO keine Öffnungsklausel für die Mitgliedsstaaten enthalten, ist die Regelungskompetenz für dieses Vorgehen zwar nicht unproblematisch (ähnlich Drewes in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, Art. 37 Rn. 58). Mit dem Bundesgesetzgeber vertritt die Berufungskammer allerdings insoweit die Auffassung, dass es sich jedenfalls bei dem besonderen Abberufungs- und Kündigungsschutz eines betrieblichen, also nicht öffentlichen Datenschutzbeauftragten um eine arbeitsrechtliche Regelung handelt, die ergänzend zu den Vorgaben der Verordnung (EU) 2016/679 auch im BDSG n. f. beibehalten werden kann (vgl. hierzu auch BT-Drs. 18/11325 S. 82).

b) Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 38 Abs. 2 BDSG n. f. ist die Abberufung eines privaten Datenschutzbeauftragten allerdings nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig. Wie oben auf den Seiten 12 f. bereits dargelegt, kann sich die Beklagte auf einen solchen wichtigen Grund jedoch nicht mit Erfolg berufen. Das Bestreben der Beklagten, durch Bestellung ein- und derselben Person als Datenschutzbeauftragten konzerneinheitliche Datenschutzstandards zu erreichen, mag einen betrieblichen Grund darstellen, aber keinen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB.

  1. Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG war für die Beklagte die Revision zuzulassen. Soweit ersichtlich ist insbesondere die Frage, ob § 6 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 38 Abs. 2 BDSG n. f. mit Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DS-GVO vereinbar ist, höchstrichterlich noch ungeklärt.

Nichtigkeit der Abtretung ärztlicher Forderung bei Verletzung der Schweigepflicht

(Landessozialgericht Thüringen, Beschluss vom 26. August 2019 – L 1 JVEG 691/19 –)

Die Abrechnung einer ärztlichen Begutachtung durch einen gerichtlichen Sachverständigen unter Heranziehung einer privatärztlichen Verrechnungsstelle führt ohne Einwilligung des Betroffenen wegen Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Nichtigkeit der Abtretung (§ 134 BGB).

(nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt:
Mit Beweisanordnung vom 28. November 2018 beauftragte die Berichterstatterin des 3. Senats im Verfahren L 3 R 845/18 den Chefarzt der Klinik für Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Eine testpsychologische Zusatzbegutachtung wurde genehmigt. Dr. D. erstattete am 7. März 2019 sein Gutachten. Mit am 22. März 2019 beim Thüringer Landessozialgericht eingegangener „Rechnungserstellung im Auftrag von Herrn Dr. med. S. D.“ vom 21. März 2019 machte eine ärztliche Verrechnungsstelle für das Gutachten einen Betrag i.H.v. 4.394,06 € geltend.

Aus den Gründen:
Der Anspruch auf Sachverständigenentschädigung nach dem JVEG steht dem beauftragten Sachverständigen zu. Eine Abtretung kommt nur unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht in Betracht. Insoweit bedürfte die Weitergabe von Behandlungsdaten an privatärztliche Verrechnungsstellen einer Einwilligung des begutachteten Betroffenen. Liegt diese nicht vor, führt dies nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Nichtigkeit der Abtretung.

Zum Zeitpunkt der Beurteilung datenschutzbehördlicher Anordnungen (Ls)

(Oberverwaltungsgericht Saarlouis, Beschluss vom 10. September 2019 – 2 A 174/18 –)

  1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.3.2019 – 6 C 2/18 – in NVwZ 2019, 1126 – 1132; juris) ist die Rechtmäßigkeit von Anordnungen zur Beseitigung datenschutzrechtlicher Verstöße nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F. nach der Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung gilt, und nachträgliche Rechtsänderungen sind nicht zu berücksichtigen.
  2. Dass in Bezug auf die Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a.F. ausnahmsweise ein anderer rechtlicher Beurteilungszeitpunkt als bei der Vorschrift des § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F. zugrunde zu legen wäre, erschließt sich nicht, denn sowohl Anordnungen nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F. als auch Anordnungen nach § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a.F. stehen gleichermaßen im Ermessen der zuständigen Aufsichtsbehörde.

(nicht amtliche Leitsätze)

Rechtsverletzung durch Betrieb von Google Analytics ohne „anonymizeIP“

(Landgericht Dresden, Urteil vom 11. Januar 2019 – 1a O 1582/18 –)

Die Nutzung von Google Analytics ohne den Zusatz „anonymizeIP“ verstößt gegen geltendes Datenschutzrecht. Der Betroffene kann untersagen, seine IP-Adresse zu speichern und an die Google Inc. zu übermitteln, wenn auf der von ihm besuchten Webseite der Tracking-Dienst Google Analytics genutzt wird, ohne dabei gleichzeitig die Code-Erweiterung „anonymisiert“ zu verwenden.

(nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt:
Der Kläger begehrt Unterlassung und Erstattung von Rechtsanwaltskosten wegen unerlaubter Weitergabe personenbezogener Daten durch die Beklagte an Google Inc. Die Beklagte bietet auf einem Internetportal Dienste an und war Inhaberin des Google Analytics-Kontos (…). Sie fügte in ihrem Internetauftritt den Tracking-Dienst Google Analytics ein. Mit diesem Dienst werden Daten über Aktivitäten der Nutzer der Internetpräsenz überwacht und in Echtzeit dem Anbieter Google zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Damit erhält Google auch die IP-Adressen der Webseitenbesucher.

Weil die Übermittlung der IP-Adressen von Datenschützern als unzulässig eingestuft wird, bietet Google Analytics die Möglichkeit, durch den Quellcode-Zusatz „anonymisiert“ die letzten 8 Bit einer IP-Adresse zu löschen und dadurch die IP-Adressen zu anonymisieren.

Der Kläger besuchte am 24. März 2018 die Webpräsenz der Beklagten. Dabei stellte er fest, dass Google Analytics verwendet wurde, ohne den Quellcode-Zusatz „anonymisiert“ zu nutzen. Der Kläger verlangte mit E-Mail vom 24. März 2018 fruchtlos die Abgabe einer Unterlassungserklärung und Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten. Er beauftragte einen Anwalt, der mit Schreiben vom 18. April 2018 die Unterlassungserklärung und Auskunft einforderte sowie die Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € verlangte.

Die Beklagte entfernte Google Analytics von ihrer Webseite, leistete jedoch keine Unterlassungserklärung und erteilte keine Auskunft. Der Kläger, der regelmäßig gegen Datenschutzverstöße vorgeht, verlangte nun gerichtliche Klärung.

Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig und begründet, da die Beklagte die personenbezogenen Daten des Klägers unerlaubt an Google Inc. weitergegeben hat. Der Unterlassungsanspruch des Klägers beruht auf §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 BGB analog, da die Weitergabe der IP-Adresse ohne den Quellcode-Zusatz „anonymisiert“ eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt.

IP-Adressen stellen personenbezogene Daten dar, die dem Schutz des Datenschutzrechts unterliegen. Die Beklagte hätte sicherstellen müssen, dass diese Daten vor der Weitergabe an Google anonymisiert werden. Da der Kläger keine Einwilligung in die Übermittlung seiner IP-Adresse gegeben hatte und die Nutzung von Google Analytics ohne „anonymizeIP“ nicht zulässig ist, liegt ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vor.

Der Kläger hat zudem Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die Beklagte ohne anwaltliche Hilfe nicht auf die Abmahnung reagierte.

Zur Veröffentlichung eines Lehrerfotos im Schuljahrbuch

(Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 6. September 2019 – 5 K 101/19. KO –)

  1. Jahrbücher und Klassenfotos sind jedenfalls von lokaler gesellschaftlicher Bedeutung und können als Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ohne Einwilligung des Betroffenen für den Schulbereich veröffentlicht werden.
  2. Eine Einwilligung eines Lehrers kann zudem darin liegen, dass er sich mit den Schülern auf Veranlassung der Schule abbilden lässt.
    (nicht amtliche Leitsätze)

Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Fotos in einem Schuljahrbuch. Der Kläger steht als Studienrat im Dienst des beklagten Landes. Von September 2005 bis Juli 2016 verrichtete er seinen Dienst am Gymnasium A. in B., bevor er mit Wirkung zum 1. August 2016 an eine andere Schule versetzt wurde. Im Schuljahr 2015/2016 gab das Gymnasium – wie bereits im Jahr zuvor – ein Jahrbuch mit Abbildungen sämtlicher Klassen und Kurse nebst den jeweiligen Lehrern heraus. Beim Fototermin ließ sich der Kläger mit der Klasse 8c und dem Kurs MSS 12 m2 ablichten. Die entsprechenden Bilder sind im Jahrbuch auf den Seiten 64 und 90 mit Namensnennung abgedruckt. Die Schule hatte vor Anfertigung der Jahrbücher das Interesse der Schülerschaft abgefragt und lediglich eine entsprechende Anzahl drucken lassen. Mit Ausnahme eines Restexemplars, das sich im Schularchiv befindet, wurden sämtliche Exemplare des Jahrbuchs verkauft.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2017 und vom 22. September 2017 beanstandete der Kläger sowohl gegenüber der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (im Folgenden: ADD) als auch gegenüber der Schulleitung die Veröffentlichung der beiden Bilder. Da seine vorherige Zustimmung nicht eingeholt worden sei, verletze die Publikation sein Persönlichkeitsrecht.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, ihm stehe ein Anspruch auf Rückruf der Jahrbücher, Unkenntlichmachung seiner Person auf den beiden Bildern sowie ein Unterlassen der weiteren Verbreitung der Jahrbücher zu, weil er in seinem Namensrecht, seinem Recht am eigenen Bild sowie seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sei.

Aus den Gründen:
Mit den Klageanträgen zu 1. und 2. verlangt der Kläger die Beseitigung eines von ihm als rechtswidrig eingestuften Zustandes. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt allein der – gewohnheitsrechtlich anerkannte – öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Dieser verpflichtet zur Herstellung des früheren Zustandes und setzt voraus, dass durch hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht aus einfachgesetzlichen Vorschriften oder Grundrechten ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der fortdauert (Hess-VGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 8 B 1144/17 –, juris, Rn. 20). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Es fehlt an einem rechtswidrigen Eingriff und infolgedessen auch am Bestehen eines rechtswidrigen Zustandes. Den Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung bildet hier das Recht am eigenen Bild als spezielle Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Nach der insoweit maßgeblichen Vorschrift des § 22 Satz 1 Kunsturhebergesetz – KUG – dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Ein Eingriff setzt somit schon begrifflich voraus, dass eine Einwilligung erforderlich war, aber nicht eingeholt wurde. Hier bedurfte es schon keiner Einwilligung (1.). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, liegt nach den Gesamtumständen jedenfalls eine wirksame konkludente Einwilligung des Klägers vor, die eine Verletzung seines Rechts am eigenen Bild ausschließt (2.).

Das Einwilligungserfordernis entfällt jedoch nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, da die vom Kläger beanstandeten Klassenfotos dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen sind. Schon die Beurteilung, ob Abbildungen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sind, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten der Abgebildeten einerseits und den Rechten der Medien bzw. der Herausgeber andererseits. Der für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, maßgebende Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dazu können auch Veranstaltungen von nur regionaler oder lokaler Bedeutung gehören. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen und es bedarf gerade bei unterhaltenden Inhalten im besonderen Maß einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2014 – VI ZR 197/13 –, juris, Rn. 10).

Nach diesen Maßstäben bedurfte es keiner Einwilligung des Klägers. Jahrbücher mit Klassenfotos sind jedenfalls von lokaler gesellschaftlicher Bedeutung für die Angehörigen der Schule. Die Schule hat zudem ein berechtigtes Interesse daran, den Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern ein Jahrbuch nebst Illustrationen zur Verfügung zu stellen, um sich gegenüber diesem (beschränkten) Personenkreis nach außen darzustellen. Die Beeinträchtigung der Rechte des Klägers ist dagegen gering. Das Foto wurde im dienstlichen Bereich aufgenommen und zeigt den Kläger in einer völlig unverfänglichen, gestellten Situation. Der Kläger ist von daher lediglich in der sog. Sozialsphäre betroffen, die einem geringeren Schutz unterliegt als die Intim- oder Privatsphäre (vgl. zum Schutzniveau in der sog. Sozialsphäre: BGH, Urteil vom 27. September 2016 – VI ZR 250/13 –, juris, Rn. 21). Der Verbreitung der Bilder stehen auch keine besonderen schützenswerten Interessen des Klägers i. S. d. § 23 Abs. 2 KUG entgegen, insbesondere sind die Bilder in keiner Weise unvorteilhaft oder ehrverletzend.

Selbst wenn man eine Einwilligung nach dem KUG für erforderlich halten würde, hat der Kläger diese jedenfalls erteilt. Die Einwilligung nach § 22 KUG bedarf keiner besonderen Form, sondern ist auch konkludent möglich (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. November 2014 – VI ZR 9/14 – juris, Rn. 6). Eine solche konkludente Einwilligung hat der Kläger gegeben, indem er sich beim Fototermin mit den beiden Schülergruppen hat ablichten lassen. Dies, obwohl er wusste oder jedenfalls hätte wissen müssen, dass die Schule derartige Klassenfotos bereits in der Vergangenheit für Jahrbücher verwendet hat. Wer sich angesichts dieser Praxis mit einer Klasse bzw. einem Kurs fotografieren lässt, muss mit einer Verbreitung der Bilder rechnen, zumal schon das gewählte Format der Bilder auf eine Veröffentlichungsabsicht hindeutete. Der Beweggrund für die Teilnahme des Klägers an dem Fototermin spielt insoweit keine Rolle. Ebenso wenig führt sein Widerspruch gegen die Veröffentlichung von Fotos auf der Homepage der Schule zu einer anderen Einschätzung. Es handelt sich hierbei um einen völlig anderen Sachverhalt: Auf der Homepage veröffentlichte Bilder sind für einen unbegrenzten Personenkreis einsehbar, wohingegen das Jahrbuch von vornherein nur einem begrenzten Personenkreis, nämlich den Schülerinnen und Schülern, zugänglich gemacht werden sollte. Angesichts dessen bestand kein Anlass, vom Widerspruch gegen die Veröffentlichung von Bildern auf der Homepage auf einen Widerspruch gegen die Veröffentlichung von Bildern im Jahrbuch zu schließen. Dies gilt umso mehr, als die hier streitgegenständlichen Fotos nicht digital verfügbar und die vom Kläger gerügten Missbrauchsmöglichkeiten von daher reduziert sind.

Soweit der Kläger vorträgt, er habe gegenüber der Fotografin einer Veröffentlichung ausdrücklich widersprochen, ist dies ebenfalls unerheblich. Dem Kläger war bekannt, dass allein die Schulleitung die Entscheidung über die Veröffentlichung der von der Fotografin lediglich zur Verfügung gestellten Klassenfotos trifft. Von daher hätte er seinen Widerspruch dem Schulleiter gegenüber erklären müssen. Auf eine allgemeine Abwehrhaltung gegen die „Amerikanisierung“ des Schulsystems und die damit einhergehende Jahrbuch-Praxis kann der Kläger sich nicht mit Erfolg berufen. Indem er an den Klassenfotos teilgenommen hat, hat er sich von dieser Haltung gerade distanziert. Es stellt ein widersprüchliches Verhalten dar, die Veröffentlichung von Fotos einerseits strikt abzulehnen und sich andererseits auf Fotos ablichten zu lassen, die offensichtlich dem Zweck der Veröffentlichung dienen.

Überdies ist der Anspruch – und dies ist selbstständig tragend – wegen tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit nicht mehr realisierbar. Die Wiederherstellung des früheren Zustandes ist tatsächlich unmöglich, weil keine Kenntnis über den Verbleib der Jahrbücher besteht. Ob es dem Beklagten zumutbar wäre, sich eine entsprechende Kenntnis zu verschaffen, kann offenbleiben, da der Kläger einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Beklagten jedenfalls nicht geltend gemacht hat. Die Erfüllung des Anspruchs ist auch rechtlich unmöglich. Auf welcher (zivil-)rechtlichen Grundlage der Beklagte von den Käufern eine Herausgabe verlangen könnte, ist nicht ersichtlich.

Zur Wahrung der Vertraulichkeit eines behördlichen Informanten

(Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 26. August 2019 – 10 K 9520/17 –)

  1. § 6 Satz 1 lit. a) IFG NRW steht der Offenbarung des Namens einer Person, die eine Behörde auf einen möglichen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz hinweist und der Offenbarung ihres Namens nicht zustimmt, grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt ihrer Angaben entgegen, es sei denn, es liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass sie die Behörde wider besseres Wissen oder leichtfertig falsch informiert hat.
  2. Die Offenbarung des Namens von Hinweisgebern ohne ihre Zustimmung ist geeignet, die Tätigkeit von Behörden im Bereich des Tierschutzes spürbar zu beeinträchtigen, weil weniger Personen bereit wären, entsprechende Hinweise zu geben, wenn ihre Anonymität nicht mehr gewährleistet wäre.
  3. Hinweise an Behörden erfolgen in der Regel in der Annahme, dass die Identität des Hinweisgebers vertraulich behandelt wird. Diese Erwartungshaltung ist als wesentliche Grundlage für das Handeln eines Hinweisgebers schutzwürdig und überwiegt im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 lit. e) IFG NRW grundsätzlich ein geltend gemachtes rechtliches Interesse an der Offenbarung seines Namens, es sei denn, es liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Hinweisgeber die Behörde wider besseres Wissen oder leichtfertig falsch informiert hat.

Information des Personalrats über die Anordnung gesundheitlicher Untersuchungen nur in anonymisierter Form

(Verwaltungsgericht Darmstadt, Beschluss vom 30. Juli 2019 – 23 K 2160/18.DA.PV –)

  1. Der Personalrat kann verlangen, über die nach § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD ergehenden gesundheitliche Untersuchungsanordnungen und die ihnen zugrunde liegenden Umstände informiert zu werden; allerdings nur in anonymisierter Form ohne Namensnennung der betroffenen Person, soweit diese der Weiterleitung nicht ausdrücklich zugestimmt hat.
  2. Die Kenntnis von Name und Identität der betroffenen Personen ist zur Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe aus §§ 62 Abs. 1 Nr. 2, 61 Abs. 1 HPVG nicht erforderlich.