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Urteil : Kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben zu Prämienanpassungen einer privaten Krankenversicherung : aus der RDV 1/2024, Seite 55-56

(BGH, Urteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22 –)

Rechtsprechung
Lesezeit 6 Min.

 

  1. […]
  2. Aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DS‑GVO folgt grundsätzlich kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben zu den Prämienanpassungen samt Anlagen.

Aus den Gründen:

[…]

dd) Schließlich lässt sich der Anspruch auch nicht aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (im Folgenden DS-GVO) herleiten.

(1) Ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen – worauf der klägerische Antrag abzielt – folgt nicht aus Art.  15 Abs.  1 DS-GVO. Weder bei den Anschreiben selbst noch bei den beigefügten Anlagen (Beiblätter, Nachträge zum Versicherungsschein) handelt es sich jeweils in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers.

(a) Gemäß Art.  4 Nr. 1 DS-GVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-487/21, EU:C:2023:369 = VersR 2023, 1176 Rn. 23 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – VI ZR 576/19, r+s 2021, 525 Rn. 22 m.w.N.).

(b) Nach diesen Grundsätzen sind nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber – wie hier maßgeblich – Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – VI ZR 576/19, r+s 2021, 525 Rn. 25). Dementsprechend sind auch nur die personenbezogenen Daten eines Versicherungsscheins nicht kategorisch vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 aaO Rn. 24). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, soweit dieser zur Vorgängerregelung des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO (Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr) entschieden hat, dass es sich bei den in der Entwurfsschrift wiedergegebenen Daten über denjenigen, der einen Aufenthaltstitel beantragt, und den Daten, die gegebenenfalls in dieser – in der Entwurfsschrift enthaltenen – rechtlichen Analyse wiedergegeben sind, um personenbezogene Daten handelt, nicht aber bei der Analyse als solche (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – C-141/12 und C-372/12, ZD 2014, 515 Rn. 48).

(c) Daraus folgt, dass es sich keinesfalls bei den gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers handelt. Vielmehr enthalten die einzelnen Teile (Anschreiben, Beiblatt, Nachtrag zum Versicherungsschein) jeweils einzelne personenbezogene Daten sowohl des Versicherungsnehmers als auch von dessen Ehefrau. Eine dahingehende Beschränkung seines geltend gemachten Anspruchs und seines Antrags hat der Kläger indessen nicht vorgenommen.

(d) Der Begriff der personenbezogenen Daten ist – soweit hier erforderlich – durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt. Daher bedarf es diesbezüglich weder eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV noch einer Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 148 ZPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2023 – VI ZR 330/21, juris Rn. 10 (insoweit nicht abgedruckt in ZD 2023, 352); vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 149/21, VRS 142, 281 [juris Rn. 14]).

(2) Auch auf Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DS-GVO lässt sich der klägerische Anspruch nicht stützen.

(a) Nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO stellt der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Nach teilweise vertretener Ansicht stellt Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, nach welcher der betroffenen Person vom Verantwortlichen grundsätzlich sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten in der bei ihm vorliegenden „Rohfassung“ als Kopie zu übermitteln sind (vgl. zum Auskunftsanspruch hinsichtlich Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung OLG Köln, Urteil vom 13. Mai 2022 – 20 U 198/21, juris Rn. 79 m.w.N.; OLG Celle r+s 2023, 160 Rn. 81 m.w.N.; vgl. ferner OLG München ZD 2022, 39 Rn. 19 f. m.w.N.; Engeler/Quiel, NJW 2019, 2201 ff.; mit zahlreichen weiteren Nachweisen im Hinblick auf die diesbezüglichen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: BGH, Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 1352/20, VersR 2022, 954 Rn. 40 sowie OLG Koblenz r+s 2023, 62 Rn. 43; offenlassend BVerwG NVwZ 2023, 346 Rn. 23-28). Nach der Gegenansicht ergibt sich aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO zwar ein Anspruch auf eine Kopie der nach Art.  15 Abs.  1 DS-GVO zu beauskunftenden Daten, aber grundsätzlich kein Anspruch auf Herausgabe von Kopien bestimmter Dokumente. Das Recht auf Kopie könne vielmehr auch durch Überlassung einer – ggf. strukturierten – Zusammenfassung der verarbeiteten Daten erfüllt werden. Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO regele lediglich eine besondere Form der nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO zu erteilenden Auskunft (vgl. OLG Stuttgart ZD 2022, 45 Rn. 43, 45 m.w.N.; wiederum mit zahlreichen weiteren Nachweisen BGH, Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 1352/20, VersR 2022, 954 Rn. 38 f. und OLG Koblenz r+s 2023, 62 Rn. 45).

(b) Diese Streitfrage, die Gegenstand eines an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Vorabentscheidungsersuchens nach Art.  267 AEUV des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 1352/20, VersR 2022, 954) ist, ist nun – nach Eingang der Revisionsbegründung – durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Mai 2023 VersR 2023, 1176 geklärt („acte éclairé“). Eine Aussetzung des hiesigen Verfahrens entsprechend §  148 ZPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2023 – VI ZR 330/21, juris Rn. 10 (insoweit nicht abgedruckt in ZD 2023, 352); vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 149/21, VRS 142, 281 [juris Rn. 14]) oder ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen kommen damit nicht mehr in Betracht.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat nunmehr entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 DS-GVO den Gegenstand und den Anwendungsbereich des Auskunftsrechts festlege, Art.  15 Abs. 3 DS-GVO die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der Verpflichtung (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-487/21, EU:C:2023:369 = VersR 2023, 1176 Rn. 30 f.). Daher könne Art. 15 DS-GVO nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewähre. Der Begriff „Kopie“ beziehe sich nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthalte. Die Kopie müsse daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung seien (EuGH aaO Rn. 32). Die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken könne sich dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich sei, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten (EuGH aaO Rn. 41).

(c) Demzufolge kann der Kläger auch aus Art.  15 Abs.  1, Abs. 3 DS-GVO keinen Anspruch auf Ausfolgung einer Kopie der Begründungsschreiben samt Anlagen herleiten. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union in der vorgenannten Entscheidung eröffnete Ausnahme greift vorliegend nicht. Denn der Kläger hat weder dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie des jeweiligen vollständigen Begründungsschreibens samt Anlagen nötig wäre.

(3) Dahinstehen kann nach alledem, inwieweit der Kläger – etwa im Hinblick auf Art. 12 Abs. 5 S. 2 Buchst. b) DS-GVO und EwGr. 63 S. 1 zur DS-GVO – mit seinem Anspruch ausgeschlossen wäre, weil er datenschutzfremde Zwecke verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 1352/20, VersR 2022, 954 Rn. 15 m.w.N.; im Hinblick auf Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung vgl. OLG Koblenz r+s 2023, 62 Rn. 23 ff.; OLG Hamm r+s 2022, 93 Rn. 9-11; OLG Schleswig VersR 2022, 1489 [juris Rn. 43 f.]; OLG Celle r+s 2023, 160 Rn. 77; OLG Köln, Urteil vom 13. Mai 2022 – 20 U 198/21, juris Rn. 86). […]