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Urteil : Entschädigung aufgrund der Benachteiligung wegen einer Behinderung : aus der RDV 3/2018, Seite 170 bis 172

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. September 2017 – 8 AZR 492/6 –)

Lesezeit 5 Min.
  1. Verstößt der Arbeitgeber gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen, liegt darin grundsätzlich ein Indiz i.S.v. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dar auf schließen lässt, dass der/die schwerbehinderte Arbeitnehmer/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Ein Verstoß gegen die in § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX vorgesehene Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung u.a. des abgelehnten Bewerbers kann die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung begründen.
  2. Die Unterrichtungspflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ist der Abschluss des besonderen Erörterungsverfahrens nach § 81 Abs 1 Satz 7 bis 9 SGB IX. Diese Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung u.a. des abgelehnten Bewerbers besteht nur, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX vorliegen, also gegen die gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (§§ 71 ff., § 159 Abs. 1 SGB IX) verstoßen wird und die Schwerbehinderten Vertretung oder eine in § 93 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist.

Aus den Gründen:

aa) Wie auch bei anderen Vorschriften, die Verfahrens- und/ oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten (vgl. etwa BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15 – Rn. 37 mwN; 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 25, BAGE 156, 107), kann aus einem Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX grundsätzlich die Vermutung iSv. § 22 AGG einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung abgeleitet werden (BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 37, BAGE 144, 275).

bb) Für die Besetzung freier Arbeitsplätze ist in § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX unter bestimmten Voraussetzungen ein besonderes Erörterungsverfahren zur weitergehenden Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats etc. vorgesehen (vgl. BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 43 f., BAGE 144, 275; 17. August 2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 50). Dieses Erörterungsverfahren muss der Arbeitgeber nur dann durchführen, wenn die gesetzliche Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen (§§ 71 ff., § 159 Abs. 1 SGB IX) nicht erfüllt ist und die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 93 SGB IX genannte Vertretung (Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- bzw. Präsidialrat) mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist.

(1) Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 93 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist diese unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern (§ 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX). Dabei wird der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört (§ 81 Abs. 1 Satz 8 SGB IX). Alle Beteiligten sind vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten (§ 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX).

(2) Die Regelungen in § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX stehen in einem inneren Zusammenhang, auch wenn der Gesetzgeber dies nicht durch die Stellung in einem gesonderten Absatz klargestellt hat (BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 44, BAGE 144, 275). Die nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX vorgesehene Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung besteht nur, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX vorliegen.

(a) Die Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX greift nicht unabhängig von § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX ein.

(aa) Der innere Zusammenhang in § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX folgt bereits aus dem Wortlaut dieser Regelungen. § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX betrifft das Stadium der „beabsichtigten Entscheidung“ des Arbeitgebers, in dem unter bestimmten Voraussetzungen ein besonderes Erörterungsverfahren beginnt. Dabei ist die „beabsichtigte Entscheidung“ des Arbeitgebers unter Darlegung der Gründe „mit ihnen“ – also mit den bzw. einer der zuvor genannten Vertretungen – zu erörtern. § 81 Abs. 1 Satz 8 SGB IX über die Anhörung des betroffenen schwerbehinderten Menschen wird durch das Wort „dabei“ ausdrücklich mit § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX verknüpft. Schließlich betrifft § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX die Phase der nun vom Arbeitgeber „getroffenen Entscheidung“, über die alle Beteiligten unverzüglich unter Darlegung der Gründe zu unterrichten sind. Damit gibt § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX ein in sich geschlossenes besonderes Erörterungsverfahren vor, das von der „beabsichtigten Entscheidung“ des Arbeitgebers bis zur „getroffenen Entscheidung“ des Arbeitgebers reicht.

(bb) Der innere Zusammenhang der Regelungen in § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX zeigt sich auch in ihrer Systematik. Diese beinhaltet eine über insbesondere § 81 Abs. 1 Satz 4 bis 6, § 93 und § 95 SGB IX hinausgehende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebs-/Personalrats etc. bezogen auf die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle (vgl. auch BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 44 mwN, BAGE 144, 275). Dabei kann sich die in § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX vorgesehene Unterrichtung „aller Beteiligter“ der Sache nach nur auf die Beteiligten iSd. § 81 Abs. 1 Satz 7 und Satz 8 SGB IX unter den dort genannten Voraussetzungen beziehen. Eine weitere unverzügliche Unterrichtung unter Darlegung der Gründe wäre bezogen auf die Schwerbehindertenvertretung zudem überflüssig, soweit Einverständnis mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers besteht. Auch daran zeigt sich, dass § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX ein in sich geschlossenes Erörterungsverfahren enthält, dessen An- und Ablauf unter besondere Voraussetzungen gestellt ist.

(b) Die in § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX vorgesehene unverzügliche Unterrichtung ist nur dann erforderlich, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX gegeben sind.

(aa) In § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX sind ausdrücklich zwei Voraussetzungen genannt, die mit dem Wort „und“ verbunden sind, wodurch sie kumulativ erfüllt sein müssen. Demnach besteht die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX für den Arbeitgeber nur, wenn – einerseits – die gesetzliche Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen nicht erfüllt und – andererseits – die Schwerbehindertenvertretung oder eine der in § 93 SGB IX genannten Vertretungen mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist.

(bb) Auch die Gesetzesbegründung spricht für diese Annahme. Danach ist die Erörterung ausdrücklich nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber dem Vermittlungsvorschlag bzw. der Bewerbung des Schwerbehinderten folgt oder wenn die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebs- oder Personalrat mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers einverstanden sind (BT-Drs. 14/3372 S. 18).

cc) Daran gemessen hat die Beklagte § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht verletzt. Sie musste den schwerbehinderten Kläger nicht über die von ihr getroffene Entscheidung zur Besetzung der im Oktober 2013 ausgeschriebenen Wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle in der Teilmaßnahme „Regionale Vernetzung“ unter Darlegung der Gründe unverzüglich unterrichten. Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX sind nicht kumulativ erfüllt. Die Schwerbehindertenvertretung war mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers ausdrücklich einverstanden. Anhaltspunkte dafür, dass eine in § 93 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden war, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.