Urteil : 10.000,– € Schadenersatz wegen einer verspäteten Auskunft nach Art. 15 DS‑GVO : aus der RDV 3/2023 Seite 190 bis 192
(ArbG Oldenburg, Urteil vom 9. Februar .2023 – 3 Ca 150/2 –)
Relevanz für die Praxis
Nicht nur im Zusammenhang mit der Auskunft nach Art. 15 DS-GVO, sondern auch im Zusammenhang mit Art. 82 DS-GVO waren zahlreiche Auslegungsfragen lange ungeklärt. Einige davon hat der EuGH jüngst entschieden. So ist die Position des ArbG Oldenburg, wonach schon die Verletzung der DS-GVO genügt, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, nunmehr europarechtswidrig. Der EuGH hat ausdrücklich klargestellt, dass der bloße Verstoß gegen die DS-GVO keinen Schadenersatzanspruch begründet. Nicht erforderlich zur Begründung eines Schadenersatzanspruchs ist hingegen, dass der entstandene Schaden eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erreicht, so der EuGH. Unter welchen Voraussetzungen eine verzögerte Auskunft einen Schaden begründet, ist damit nicht abschließend geklärt. Fest steht jedoch, dass, entgegen der Ansicht des ArbG Oldenburg, ein Schaden dargelegt werden muss. Entsprechend hatten zuvor etwa das OLG Düsseldorf[1] und das LAG Hamm[2] entscheiden.
Spannend ist die vorliegende Entscheidung auch nach der jüngsten Entwicklung der europäischen Rechtsprechung v.a. mit Blick auf die Anspruchshöhe. Der EuGH hat ausdrücklich klargestellt, dass die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des nach Art. 82 DS-GVO geschuldeten Schadenersatz Aufgabe des Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist. Das ArbG Oldenburg ist hier der Argumentation des Klägers gefolgt und erachtete einen Betrag in Höhe von 500,– € pro Monat der verspäteten Auskunft für angemessen. Wegen der 20 Monate sprach das Gericht dem Kläger einen Anspruch in Höhe von 10.000,– € zu.
- Der Anspruch nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hat einen Präventionscharakter und ihm kommt eine Abschreckungsfunktion zu.
- Verlangt die betroffene Person Schadenersatz wegen einer nicht erfolgten Auskunft über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie zu den sich aus Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 DS-GVO ergebenden Informationen, sind 500,– € pro Monat der unterlassenen Auskunft mit Blick auf den Präventionscharakter des Anspruchs nicht unangemessen.
Aus den Gründen:
aa. Der Anspruch des Klägers folgt aus Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 DS-GVO.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte den Kläger betreffende personenbezogene Daten verarbeitet. In diesem Fall kann der Kläger Auskunft über die personenbezogenen Daten und die in Art. 15 Abs. 1 Hs. 2 DS-GVO im Einzelnen aufgezählten Informationen, die vom Kläger in dem Klageantrag im Einzelnen mit aufgenommen worden sind, verlangen.
Für den Fall, dass personenbezogene Daten des Klägers an ein Drittland oder an eine internationale Organisation übermittelt werden, kann er gem. Art. 15 Abs. 2 DS-GVO von der Beklagten verlangen, über die geeigneten Garantien gem. Art. 46 im Zusammenhang mit der Übermittlung unterrichtet zu werden.
bb. Der Anspruch des Klägers ist nicht durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB erloschen.
Die Kammer geht nicht davon aus, dass die Beklagte den Auskunftsanspruch durch Übersendung des Anlagenkonvoluts am 05.02.2023 erfüllt hat. Zwar hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.02.2023 im Nachhinein erklärt, dass es sich bei den Unterlagen um die bei der … „gespeicherten Daten des KL DSGO“ – gemeint sein dürfte die DS-GVO – handelt. Mit weiterem Schriftsatz vom 07.02.2023 hat sie ergänzend klargestellt, dass bei der Beklagten keine weiteren Daten des Klägers gespeichert seien.
Selbst wenn es sich bei den Unterlagen um sämtliche personenbezogenen Daten des Klägers handeln sollte, so würde es sich bei diesen personenbezogenen Daten nach den von der Beklagten in den Schriftsätzen vom 06. und 07.02.2023 abgegebenen Erklärungen lediglich um die gespeicherten personenbezogenen Daten des Klägers handeln. Nach Art. 15 Abs. 1 der DS-GVO bezieht sich der Auskunftsanspruch jedoch auf die verarbeiteten personenbezogenen Daten des Klägers. Den Schriftsätzen des Beklagtenvertreters lässt sich auch nicht entnehmen, inwiefern welche der personenbezogenen Daten des Klägers die am 05.02.2023 als Anlagenkonvolut übersandt worden sind, verarbeitet wurden und inwiefern der Auskunftsanspruch hinsichtlich der in Art. 15 Abs. 1 Hs. 2 DS-GVO genannten einzelnen Informationen durch die Übersendung des Unterlagenkonvoluts erfüllt worden sein soll. […]
VII. Der Kläger kann von der Beklagten immateriellen Schadenersatz in Höhe von insgesamt 10.000,– € für den Zeitraum 01.06.2021 – 31.01.2023 gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO verlangen.
1. Danach hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.
2. Der Kläger ließ die Beklagte mit anwaltlichem Aufforderungsschreiben vom 19.04.2021 (Anlage K7) zur Auskunftserteilung hinsichtlich der seine Person betreffenden, verarbeiteten, personenbezogenen Daten sowie hinsichtlich der in Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 DS-GVO vorgesehenen Information unter Fristsetzung bis zum 03.05.2021 auffordern. Die Beklagte kam diesem Auskunftsverlagen entgegen der sie treffenden Verpflichtung nicht nach.
Auf das Auskunftsersuchen des Klägers ist die Beklagte erstmals durch Übersendung des Anlagenkonvoluts am 05.02.2023 sowie in den nachfolgenden Schriftsätzen vom 06. und 07.02.2023 eingegangen.
Die Beklagte hat damit nicht die zur Erfüllung der Auskunftsansprüche sich aus Art. 12 Abs. 3 S. 1 DS-GVO ergebende Monatsfrist gewahrt. Danach stellt der Verantwortliche der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artt. 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass dem Beklagtenvertreter das außergerichtliche Aufforderungsschreiben vom 19.04.2021 noch am selben Tag zuging. Der Klägervertreter hätte mit einer Erfüllung der Auskunftsansprüche gem. Art. 12 Abs. 3 S. 1 DS-GVO bis zum 19.05.2021 rechnen dürfen mit der Folge, dass immaterielle Schadensersatzansprüche ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten.
3. Der Kläger macht immateriellen Schadenersatz in Höhe von 500,00 € für jeden Monat wegen der Nichterfüllung seines auf Art. 15 Abs. 1 Hs 2, Abs. 2 DS-GVO gestützten Auskunftsverlangens geltend ohne näher darzulegen, worin genau der ihm entstandene immaterielle Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO liegen soll.
a. Ob entsprechende Darlegungen vom Kläger überhaupt zu fordern wären, ist im Hinblick auf die Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 26.08.2021 (8 AZR 253/20 (A), beim EuGH derzeit noch anhängig zum Aktenzeichen C-667/21 (Krankenversicherung Nordrhein) sowie des OGH Österreich vom 15.04.2021 (6 Ob 35/21x), derzeit ebenfalls noch beim EuGH anhängig unter C-300/21 (Österreichische Post), fraglich.
aa. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in vorgenannten Vorabentscheidungsersuchen dahingehend positioniert, dass der Senat davon ausgehe, dass der Rechtsanspruch auf immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO über eine solche Verletzung der DS-GVO hinaus nicht zusätzlich erfordert, dass die verletzte Person einen (weiteren) von ihr erlittenen immateriellen Schaden darlegt. Sie muss also aus Sicht des Senats keine „Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zu mindestens einigem Gewicht“ (vgl. dazu jedoch die dritte Vorlagefrage des Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (Österreich) – C-300/21 –) darlegen. Nach Auffassung des Senats führt demnach bereits die Verletzung der DS-GVO selbst zu einem auszugleichenden immateriellen Schaden (BAG, EuGH – Vorlage v. 26.08.2021 – 8 AZR 253/20 (A) Rn. 33).
Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Nachgang zu dem genannten Vorabentscheidungsersuchen in seiner Entscheidung vom 05.05.2022 (2 AZR 363/21) dahingehend geäußert, dass zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann, dass dem Anspruch nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO Präventionscharakter und eine Abschreckungsfunktion zukomme (BAG, Urt. v. 05.05.2022 – 2 AZR 363/21 Rn. 23).
bb. Die Kammer hält dies für überzeugend und schließt sich den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts an.
b. Zwar ist das BAG in der Entscheidung vom 05.05.2022 davon ausgegangen, dass die vom Berufungsgericht mit 1.000,00 € festgesetzte Schadenshöhe mit 1.000,00 € hinreichende abschreckende Wirkung habe. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in Rn. 20 jedoch mit der relativ geringen Bedeutung der Beeinträchtigung der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs begründet, da es der Klägerin maßgeblich um Arbeitsaufzeichnungen gegangen sei. Der Klägerin sei es maßgeblich nicht um Auskunft über ihre übrigen bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten gegangen.
Letzteres hat jedoch der Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Der Kläger verlangt Auskunft über sämtliche seiner bei der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie Auskunft zu den sich aus Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 DS-GVO ergebenden Informationen. Das Auskunftsinteresse des Klägers übersteigt dasjenige der Klägerin in dem dem Bundesarbeitsgericht zur Beurteilung unterbreiteten Sachverhalt in bedeutendem Maße, weshalb die Kammer Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.000,00 € im Hinblick auf die erforderliche Abschreckungsfunktion des Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO für deutlich zu gering erachtet hat.
Bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzes hat die Kammer berücksichtigt, dass die Beklagte erstmals durch Übersendung des Anlagenkonvolutes am 05.02.2023 den Versuch unternommen hat, ihren Auskunftsverpflichtungen nach Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 DS-GVO nachzukommen. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt hat die Beklagte über ganze 20 Monate hinweg die sie treffende Auskunftspflicht nicht erfüllt, weshalb die Kammer den vom Kläger in Ansatz gebrachten Schaden in Höhe von 500,00 € pro Monat für nicht unangemessen erachtet hat.
Zur Vertiefung
Meyer, Rechtsmissbräuchliche Schadenersatzforderungen = RDV 6/2022.
[Urteil] Kein immaterieller Schaden wegen verzögerter Löschung personenbezogener Daten = RDV 1/2023
[Urteil] 4.000,00 Schmerzensgeld wegen Offenlegung einer Geschäftsbeziehung zu einem Konkurrenzunternehmen gegenüber Arbeitgeber = RDV 1/2023
[Urteil] BAG-EuGH-Anfrage zu immateriellen Schadenersatz wegen der Übermittlung personenbezogener Daten an die vormalige Konzernmutter der Arbeitgeberin in den USA auf Grund einer Betriebsvereinbarung = RDV 6/2022.
[Urteil] Zur Höhe eines Anspruchs auf immateriellen Schadenersatz bei Verstoß gegen die DS-GVO = RDV 5/2022.
[Urteil] Auskunftsrecht nach Art. 15 DS-GVO und immaterieller Schadenersatz nach Art. 82 = RDV 1/2022
[1] OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.2023 – 16 U 154/21.
[2] LAG Hamm, Urt. v. 02.12.2022 – 19 Sa 756/22