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Urteil : (Mit-)Verantwortlichkeit von Google Ireland neben Google LLC aus den USA bei Löschungsansprüchen nach Art. 17 Abs. 1 DS‑GVO : aus der RDV 4/2023 Seite 259 bis 260

(LG Heidelberg, Urteil vom 31. März 2023 – 6 S 1/22 –)

Rechtsprechung
Lesezeit 6 Min.
  1. Nach dem weiten Verarbeitungsbegriff des Art.  4 Nr. 2 DS‑GVO stellt bereits die Anzeige einer Seite mit Suchergebnissen eine Verarbeitung von Daten dar. Ein Unternehmen, das den Nutzern Informationen anzeigt, die ein anderes Unternehmen gefunden, indexiert und gespeichert hat, ist daher als (Mit-)Betreiber der Suchmaschine und damit als (Mit-)Verantwortlicher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 DS‑GVO anzusehen.
  2. Ein Suchmaschinenbetreiber muss einem Auslistungsantrag stattgeben, wenn die betroffene Person Nachweise vorlegt, aus denen sich offensichtlich ergibt, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen unrichtig sind oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist.
  3. Sofern vorgerichtlich keine Nachweise für die offensichtliche Unrichtigkeit der beanstandeten Inhalte vorgelegt wurden, hat eine Abwägung der widerstreitenden Interessen in einem gerichtlichen Verfahren zu erfolgen.

(Nicht amtliche Leitsätze)

Aus den Gründen:

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung der Anzeige der von ihm beanstandeten Suchergebnisse aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. […]

a) Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ausschließlich Art.  17 Abs.  1 DS-GVO in Betracht. Danach hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der sodann unter Buchst. a) bis f) genannten Gründe vorliegt. Dies gilt gemäß Art. 17 Abs. 3 DS-GVO nicht, wenn die Verarbeitung zu einem der dort genannten Zwecke erforderlich ist, insbesondere gemäß Buchst. a) zur Ausübung des Rechts auf freie Information. Im zeitlichen, örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich der DS-GVO können Abwehransprüche nicht mehr auf Vorschriften des nationalen Rechts, insbesondere nicht auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB, gestützt werden (BGH, Urt. v. 03.05.2022 – VI ZR 832/20 – NJW 2022, 2476, 2477). Der Anwendungsbereich der DS-GVO ist hier eröffnet. Sie gilt zeitlich seit dem 15.05.2018, örtlich werden die beanstandeten Suchergebnisse im Gebiet der Europäischen Union angezeigt und sachlich ist ein auf dauerhafte Auslistung gerichtetes Rechtsschutzbegehren von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfasst (vgl. BGH, aaO).

b) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts hält die Kammer die Beklagte allerdings für passivlegitimiert. Die Beklagte ist Verantwortliche im Sinne des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. […] Die Tätigkeit einer Suchmaschine, die darin besteht, von Dritten ins Internet gestellte oder dort veröffentlichte Informationen zu finden, automatisch zu indexieren, vorübergehend zu speichern und schließlich den Internetnutzern in einer bestimmten Rangfolge zur Verfügung zu stellen, sofern die Informationen personenbezogene Daten enthalten, ist als „Verarbeitung personenbezogener Daten“ einzustufen und der Betreiber dieser Suchmaschine ist als für diese Verarbeitung „Verantwortlicher“ anzusehen (EuGH, Urt. v. 13.05.2014 – C 131/12 – Google Spain – juris Tz. 41). Hier sind sowohl Google LLC als auch die Beklagte als Verantwortliche zu betrachten. Art. 26 DS-GVO setzt voraus, dass es mehrere Verantwortliche geben kann, wobei gemäß Art. 26 Abs. 3 DS-GVO bei einer Aufteilung von Verantwortlichkeiten die betroffene Person unabhängig von dieser Aufteilung ihre Rechte gegenüber jedem einzelnen Verantwortlichen geltend machen kann. Die Tätigkeiten einer Suchmaschine, die der EuGH aufzählt und als Verarbeitung personenbezogener Daten einstuft, sind zwischen Google LLC und der Beklagten aufgeteilt. Google LLC findet, indexiert und speichert Daten und legt eine Rangfolge fest, die Beklagte stellt nach den Google-Nutzungsbedingungen die Informationen den Nutzern im Bereich des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz zur Verfügung. Nach dem weiten Verarbeitungsbegriff des Art. 4 Nr. 2 DS-GVO stellt bereits die Anzeige einer Seite mit Suchergebnissen eine Verarbeitung von Daten dar (EuGH, Urt. v. 13.05.2014 – C 131/12 – Google Spain – juris Tz. 57), über deren Zweck und Mittel im Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz die Beklagte als Diensteanbieterin entscheidet. Sie ist daher als Mitbetreiberin der Suchmaschine und (Mit-)Verantwortliche im Sinne des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO anzusehen (so auch LG Köln, Beschl. v. 04.07.2022 – 28 O 168/22 – ZD 2022, 564).

c) Die inhaltlichen Voraussetzungen des Art.  17 DS-GVO für die Löschung von Ergebnislinks einer Suchmaschine liegen jedoch nicht vor. Dazu hat der Europäische Gerichtshof folgende Grundsätze aufgestellt (EuGH, Urt. v. 08.12.2022 – C 460/20 – juris):

aa) Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ist kein uneingeschränktes Recht, sondern muss, wie im vierten Erwägungsgrund der DS-GVO ausgeführt, im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden (EuGH, a.a.O. – juris Tz. 56; so auch BGH, Urt. v. 03.05.2022 – VI ZR 832/20 – NJW 2022, 2476, Tz. 16). […] Die DS-GVO und insbesondere Art.  17 Abs.  3 Buchst. a) verlangen somit ausdrücklich eine Abwägung zwischen den in Artt. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten und dem durch Art. 11 der Charta gewährleisteten Grundrecht auf freie Information (EuGH, a.a.O., Tz. 57, 58). […] Danach sind für die Zwecke der Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privatlebens und dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Information eine Reihe relevanter Kriterien zu berücksichtigen, wie der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, der Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, der Gegenstand der Berichterstattung, das vorangegangene Verhalten der betroffenen Person, Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung, die Art und Weise sowie die Umstände, unter denen die Informationen erlangt worden sind, und deren Richtigkeit. […] Die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts ist auch ein relevanter Gesichtspunkt bei der Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a) der DS-GVO im Hinblick auf die Beurteilung der Frage, ob das Recht der Internetnutzer auf Information und die Meinungsäußerungsfreiheit des Inhaltanbieters Vorrang vor den Rechten desjenigen haben können, der eine Auslistung begehrt. Unter diesem Aspekt kann das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information zwar unter bestimmten Umständen Vorrang vor den Rechten auf Schutz der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten haben, insbesondere wenn die betroffene Person im öffentlichen Leben eine Rolle spielt, doch kehrt sich dieses Verhältnis jedenfalls dann um, wenn zumindest ein für den gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil der Informationen, um die es in dem Auslistungsantrag geht, unrichtig ist. […]

bb) Ein Suchmaschinenbetreiber, der selbst nicht für die von ihm gelisteten Inhalte verantwortlich ist, aber durch die Verbreitung von Ergebnislisten dazu beiträgt, dass Nutzer ein mehr oder weniger detailliertes Profil einer Person erstellen können, ist seinerseits verpflichtet, einem Auslistungsantrag stattzugeben, wenn die betroffene Person Nachweise vorlegt, aus denen sich offensichtlich ergibt, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen unrichtig sind oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist. […]

(1) Die Kammer geht davon aus, dass in einem Fall wie diesem, in dem vorgerichtlich vom Kläger keine Nachweise für die offensichtliche Unrichtigkeit der von ihm beanstandeten Inhalte vorgelegt wurden, eine Abwägung der widerstreitenden Interessen in einem gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hat. Das Gericht prüft nicht nur, ob vorgerichtlich derartige Nachweise vorgelegt wurden, sondern nimmt aufgrund der beiderseitigen Parteivorträge und einer eventuellen Beweisaufnahme eine umfassende Abwägung vor. Dieser gerichtlichen Abwägung misst der EuGH besondere Bedeutung zu (vgl. EuGH, a.a.O., Tz. 75). […]

(d) Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren nicht bewiesen hat, dass der gegen ihn erhobene Vorwurf, sich am Telefon mit „Heil Hitler“ gemeldet zu haben, unzutreffend ist. Der insoweit nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat weder schlüssig dargelegt, dass er sich nicht mit „Heil Hitler“ am Telefon gemeldet haben könne, noch haben die von ihm benannten Beweismittel zu einem solchen Ergebnis geführt. […]

(e) Ebenfalls in die Abwägung einzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger mangels Greifbarkeit des Inhaltanbieters gegen diese nicht gerichtlich vorgehen kann. Dass dem Kläger insoweit Verteidigungsmittel abgeschnitten sind, kann zwar in der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben. Der Kläger sieht sich aber andererseits keiner völlig aus der Luft gegriffenen Behauptung ausgesetzt, für deren Wahrheit keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Der Zeuge M. hat sich öffentlich zu dem behaupteten Vorfall geäußert und der Kläger kannte die damals burschenschaftsintern erhobenen Vorwürfe und kann selbst zur Aufklärung beitragen. Er ist daher nicht jeglicher Möglichkeiten beraubt, sondern kann in angemessenem Umfang vortragen und Beweismittel beibringen. […]