Editorial : Facebook im toten Winkel
Facebook-Fanpages und Plugins sind derzeit unter der Überschrift „Gemeinsame Verantwortung“ ein zentrales Thema des Datenschutzrechts. Während die Praxis sich bemüht, es in den Griff zu bekommen und die Konsequenzen der aktuellen EuGH-Rechtsprechung auf den betrieblichen Datenschutz herausarbeitet, erhebt Facebook weiter munter Daten, etwa mittels Gesichtserkennung. Weil es sich merkwürdig anfühlt, ohne Wissen auf Fotos abgebildet zu sein, die über Facebook verbreitet werden, bietet Facebook nun diesen „Service“ an. Damit man erfährt, ob das eigene Gesicht irgendwo bei Facebook auftaucht und, um dessen Veröffentlichung unterbinden zu können, kann man eine Gesichtserkennung aktivieren. Dann gleicht der Dienst das eigene Gesicht mit Fotos ab, die andere bei Facebook nutzen.
Ergibt ein Vergleich der Bilder etwa, dass eine andere Person ein Bild von meinem Gesicht für ihr Profilbild nutzt, werde ich informiert. Das schützt einerseits meine Persönlichkeit. Andererseits wird sie durch denselben Vorgang aber beeinträchtigt, weil Facebook mein Bild nutzen kann, um es zum Gegenstand seiner stetig wachsenden Gesichtsdatenbank zu machen. Gut ist, dass man Facebook das aktiv gestatten muss, indem man unter der Rubrik Gesichtserkennung den vielsagenden Reiter „Lege fest, ob Facebook dich auf Fotos und in Videos erkennen darf“ aktivieren muss. Spätestens, wenn man Facebook in dem Satz durch „Big Brother“ ersetzt, kann man ins Grübeln kommen. Wer dem Unternehmen eine so weitreichende und tiefgreifende Erlaubnis gibt, der muss ihm wirklich vertrauen. Er kann sich die Frage stellen, wodurch dieses Vertrauen sich rechtfertigt und welcher nahestehenden Person er dieses Recht einräumen würde. Falls es noch einen persönlichen toten Winkel im Netz gibt, in dem die Persönlichkeit geschützt ist, dann gestattet man Facebook so, ihn zu durchmessen.
Ein anderes Beispiel ist die Werbung. Der KI-Chef von Facebook pries die Leistungsfähigkeit des Dienstes kürzlich mit dem Hinweis darauf an, dass er täglich 200 Trillion Vorhersagen treffe. Das klingt nach intensiver Durchleuchtung der Nutzer. Auch wenn man nicht sicher sagen kann, wie viel davon personenbezogen ist, kann man mit Blick auf das auf Werbung gerichtete Geschäftsmodell von Facebook mit guten Gründen annehmen, dass ein Großteil der Vorhersagen nutzerbezogen ist.
Wer auf den Einsatz moderner Technik auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz als Unternehmen oder als Privatperson aus guten Gründen nicht verzichten möchte, der sollte dringend die Risiken dieses Handelns bewerten und sich ihnen stellen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass wir unter die Räder der Technik und auch der Unternehmen kommen, die sie entwickeln, programmieren und beherrschen. Noch jedenfalls trifft unseren Kenntnisstand über das, was Datengiganten mit dem Wissen über uns anstellen, ein mahnender Vergleich von Albert Einstein. Er eröffnete die Funkausstellung 1930, als es um die Einführung der Funktechnik ging, mit der Bemerkung, dass sich alle schämen sollen, „die gedankenlos sich der Wunder von Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben, als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.“ Fast 90 Jahre später müssen wir aufpassen, dass die Pflanzen uns nicht fressen.