Urteil : Erkennbarkeit einer Person ohne Namensnennung : aus der RDV 5/2024, Seite 302 bis 304
(OLG Dresden, Beschluss vom 23. Mai 2024 – 4 W 213/24 –)
- Die Erkennbarkeit einer Person durch eine Äußerung setzt deren Namensnennung nicht voraus, es genügt vielmehr die Übermittlung von Teilinformationen, aufgrund derer der Betroffene begründeten Anlass hat anzunehmen, er könne innerhalb eines mehr oder minder großen Bekanntenkreises erkannt werden; auf den „Durchschnittsempfänger“ kommt es insofern nicht an.
- Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Unterlassungsantrag ist nicht gegeben, wenn eine kerngleiche Verpflichtung bereits in einem Prozessvergleich enthalten ist, den der Antragsteller vollstrecken könnte.
Aus den Gründen:
II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig, §§ 567 ff. ZPO, §§ 935 ff. ZPO. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Äußerungen der Antragsgegnerin enthalten eine identifizierbare Darstellung des Antragstellers (1.). Sie enthalten eine erhebliche Persönlichkeitsverletzung des Antragstellers (2.). Dem Antrag fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, denn der Antragsteller kann aus dem Prozessvergleich vom 17.01.2024 wegen der streitgegenständlichen Äußerungen vollstrecken (3.).
- Der Antragsteller ist identifizierbar dargestellt. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten des Livestreams oder gar der „Durchschnittszuschauer“ die betroffene Person identifizieren kann. Es reicht vielmehr aus, dass über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 05.12.2023 – VI ZR 1214/20 – juris). Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Erkennbarkeit die vollständige oder auch nur abgekürzte Namensnennung nicht voraussetzt, vielmehr die Übermittlung von Teilinformationen ausreicht, aufgrund derer der Betroffene begründeten Anlass hat anzunehmen, er könne innerhalb eines mehr oder minder großen Bekanntenkreises erkannt werden (vgl. Senat, Urt. v. 24.09.2019 – 4 U 1401/19 – juris). Dies ist hier der Fall.
Die Antragsgegnerin nennt zwar den Antragsgegner nicht beim Namen, gleichwohl beschreibt sie die Personen, die aus ihrer Sicht gegen sie Rachepläne schmieden. Sie nennt eine Person, die sie „vor Gericht gezogen“ habe und mit der sie im Januar/Februar ein Gerichtsverfahren hatte. Dies trifft auf den Kläger zu. Des Weiteren meint der Kläger, er sei auch über die Bezeichnung „L…“ identifizierbar, weil er von einer Nutzerin im August 2023 zum Geburtstag einen digitalen Token in Form eines Löwen geschenkt bekommen habe. Schließlich hat die Antragsgegnerin sich auch in der Vergangenheit über den Antragsteller in ihren TikTok-Beiträgen identifizierbar geäußert und von ihm u.a. behauptet, er habe einen seiner Söhne als Missgeburt bezeichnet, das ganze Erbe seiner Familie eingesteckt und sei Reichsbürger. Diese Äußerungen haben zu einem Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Chemnitz geführt, in dem die Antragsgegnerin entsprechende Unterlassungserklärungen abgegeben hat. Der Antragsteller hat schlüssig und plausibel dargelegt, dass er für einen interessierten Personenkreis – z.B. regelmäßige Zuschauer der Livestreams der Antragsgegnerin – identifizierbar dargestellt ist. Schließlich ist einem Kommentar einer Nutzerin zu entnehmen, dass sie weiß, wen die Antragsgegnerin meint. Sie erklärt, dass „herauszuhören“ sei, dass „K… und die andere Abteilung“ gemeint seien und sie (die Antragsgegnerin) wohl auch „K… und Konsorten“ angezeigt habe.
Hierbei kommt es nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Memmingen (S… H… gegen die Antragsgegnerin wegen des Livestreams vom 20.02.2024) eidesstattlich versichert hat, dass sie u.a. den Antragsteller meint. Denn die eidesstattliche Versicherung ist nicht der Teil der Äußerung vom 20.02.2024.
- Die streitgegenständlichen Äußerungen verletzen den Antragsteller ohne Zweifel in seinem Persönlichkeitsrecht, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 823 BGB.
Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Ansicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Publikums (vgl. Senat, Urt. v. 14.02.2023 – 4 U 2331/22 – juris). Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind (vgl. Senat, Urt. v. 14.02.2023 – 4 U 2331/22 – juris). Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dabei dadurch aus, dass die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. Senat, Urt. v. 14.02.2023 – 4 U 2331/22 – juris). Die Abgrenzung ist nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Adressaten vorzunehmen (vgl. Senat, Urt. v. 14.02.2023 – 4 U 2331/22 – juris; Senat, Beschl. v. 15.02.2021 – 4 U 2196/20 – juris).
Die Beiträge mögen zwar sprachlich missglückt, schwer verständlich und verworren sein, es sei jedoch klar erkennbar, dass die Antragsgegnerin erklärt, es würden bestimmte Personen gegen sie Rachepläne schmieden. Ebenso wird der Inhalt der Pläne mitgeteilt, so soll sie entführt, vergewaltigt und mit Messerstichen verletzt werden. Des Weiteren soll ihr Fahrzeug demoliert werden. Ohne den Antragsteller namentlich zu benennen, beschuldigt sie ihn und weitere Personen, an diesen Plänen beteiligt zu sein.
Anhaltspunkte dafür, dass es sich um „nicht ernst gemeinte“ Äußerungen handelt, sind nicht ersichtlich. Dies lässt sich nicht aus der „inhaltlichen Abwegigkeit“ der Äußerung schließen. Unerheblich ist auch, ob es sich bei den geschilderten Racheplänen um nachgewiesene oder objektivierbare Behauptungen handelt. Der Schutzbereich vor ehrverletzenden Äußerungen ist nicht auf objektivierbare Behauptungen beschränkt. Artt. 1, 2 GG i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB schützen insbesondere auch vor falschen Tatsachenbehauptungen über eine Person, an deren Verbreitung regelmäßig kein schützenswertes Interesse besteht.
Wird einer Person vorgeworfen, sie wisse und billige oder beteilige sich gar an der Planung von schweren Straftaten, ist dies ohne Zweifel eine Ehrverletzung von erheblichem Gewicht.
- Gleichwohl fehlt es an dem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag, denn dem Antragsteller steht eine einfachere Verwirklichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung. Er kann aus dem Prozessvergleich vom 17.01.2024 vollstrecken.
a) Im Verhältnis zu der dort eingegangenen Verpflichtung, es zu unterlassen, sich in Bezug auf den Antragsteller zukünftig insgesamt nicht zu äußern, insbesondere jegliche Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptungen in einem öffentlichen Livestream auf einer sozialen Plattform zu unterlassen, handelt es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen um kerngleiche Verletzungshandlungen. Der Verbotsbereich eines auf eine konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungstitels erstreckt sich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auch auf Abwandlungen der konkreten Verletzungsform, in denen das Charakteristische des titulierten Verbots zum Ausdruck kommt und die bereits Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren gewesen sind (vgl. Senat, Urt. v. 01.06.2018 – 4 U 217/18 – juris). Der Umfang der Verpflichtung der Antragsgegnerin ist weit gefasst. Sie darf sich in der Allgemeinheit und auf sozialen Plattformen überhaupt nicht mehr über die Person des Antragstellers äußern. Dagegen hat sie mit ihrem Livestream-Beitrag vom 20.04.2024 mit den streitgegenständlichen Äußerungen verstoßen. Für diesen Verstoß kommt es auch nicht darauf an, ob sie das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzt hat, denn nach dem Inhalt des Prozessvergleiches darf sie sich überhaupt nicht mehr über den Antragsteller äußern. Dies betrifft nicht nur die namentliche Nennung des Antragstellers in einer Äußerung, sondern auch eine Äußerung, in der der Antragsteller identifizierbar ist, weil es sich dann um eine kerngleiche Verletzungshandlung handelt.
b) Der Antragsteller kann aus dem gerichtlichen Vergleich vom 17.01.2024 gem. § 890 ZPO vollstrecken. Es handelt sich um einen Vollstreckungstitel gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die Androhung und Verhängung von Ordnungsmitteln ist nicht deshalb unzulässig, weil sich die Antragsgegnerin im Prozessvergleich strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet hat (vgl. BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – I ZB 3/12 – juris).
Für den Antrag auf gerichtliche Androhung von Ordnungsmitteln gem. § 890 Abs. 2 ZPO fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil die Unterlassungspflicht der Schuldnerin bereits durch das Vertragsstrafeversprechen abgesichert ist und deshalb aus Rechtsgründen eine zusätzliche Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO generell nicht in Betracht kommt (vgl. BGH a.a.O.). Die Verwirkung einer Vertragsstrafe und die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 890 ZPO schließen sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Spezialität aus. Beide Sanktionen regeln unterschiedliche Sachverhalte. Während das Ordnungsgeld im Sinne von § 890 ZPO eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots darstellt, ist die Vertragsstrafe im Sinne von § 339 BGB eine schuldrechtlich vereinbarte Leistung zur Sicherung der Vertragserfüllung und zur Schadenspauschalierung (vgl. BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – I ZB 3/12 – juris). In der Vollstreckung nach § 890 ZPO kommt es allein auf das Verschulden des Schuldners an, während er im Rahmen des Unterlassungsvertrages gem. § 278 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit auch für seine Erfüllungsgehilfen einzustehen hat. Beide Sanktionen können deshalb grundsätzlich vom Gläubiger nebeneinander geltend gemacht werden (so BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – I ZB 3/12 – juris).
c) Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht deshalb gegeben, weil der Antragsteller die Entscheidung für die Öffentlichkeit benötigt, weil er sonst den Vorwurf, er sei an einem Entführungs-, Vergewaltigungs- und Mordkomplott nicht beteiligt, nicht widerlegen und seinen Ruf nicht wiederherstellen könnte. Der Antragsteller hat in dem Prozessvergleich vom 17.01.2024 einen sehr weitgehenden Schutz, weil es in der Unterlassungsverpflichtung nicht auf den Wahrheitsgehalt der Äußerung ankommt. Unabhängig davon müsste er die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung im Rahmen eines Unterlassungsbegehrens grundsätzlich auch nicht widerlegen. Nach der in das Zivilrecht transferierten Beweisregel des § 186 StGB, die immer dann für den Betroffenen streitet, wenn die verbreitete Tatsachenbehauptung im Rahmen der betreffenden Berichterstattung zur Herabwürdigung des Antragstellers in der öffentlichen Meinung geeignet ist (allg. Auffassung, vgl. nur Senat, Beschl. v. 10.03.2022 – 4 W 94/22, Rn. 5 – juris; vgl. Senat, Urt. v. 28.03.2023 – 4 U 944/22 – juris), trägt die Beklagte die Beweislast für die Wahrheit der Behauptung. Mit dem Erlass einer Unterlassungsverfügung steht nur fest, dass die Äußerung nicht abgegeben werden darf. Es wird allerdings nicht stets eine Feststellung darüber getroffen, dass die Äußerung unwahr ist. Die Antragsgegnerin wäre auch dann zur Unterlassung zu verpflichten, wenn sie den Beweis für die Wahrheit nicht antreten oder führen könnte.