Urteil : Ausschluss des Auskunftsanspruchs bei Videoüberwachung : aus der RDV 5/2025, Seite 272 bis 276
(OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Mai 2025 – 12 B 14/23 –)
- Der Anspruch auf Herausgabe einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO (juris: EUV 2016/679) ist gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO (juris: EUV 2016/679) ausgeschlossen, sofern mit der Identifizierung des Auskunftsuchenden ein unzumutbarer Aufwand für den Verantwortlichen verbunden ist. Dieser kann auch aus den Vorkehrungen eines kohärenten und den Zielen der DS‑GVO (juris: EUV 2016/679) Rechnung tragenden Datenschutzkonzepts herrühren. (Rn. 47 und 53) 2. Die Freiheiten und Rechte anderer Personen – inklusive des Verantwortlichen – können gemäß Art. 15 Abs. 4 DS‑GVO (juris: EUV 2016/679) zum Ausschluss des Herausgabeanspruchs nach Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO (juris: EUV 2016/679) führen, sofern die anzustellende Güterabwägung ein außergewöhnliches Missverhältnis zwischen den Folgen einer Auskunftserteilung und dem Informationsinteresse des Auskunftssuchenden im jeweiligen Einzelfall ergibt. (Rn. 59)
Aus den Gründen:
A. Soweit die Klägerin ihre Anschlussberufung zurückgenommen hat, ist das Berufungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen. […]
II. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 21.12.2021 ist auch begründet, da die darin ausgesprochene Verwarnung der Klägerin rechtswidrig ist. […]
3. Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig. Die Klägerin hat den Auskunftsanspruch des Beigeladenen aus Art. 15 DS‑GVO nicht verletzt, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Verwarnung nach Art. 58 Abs. 2 lit. b) DS‑GVO nicht erfüllt waren. […]
a) Der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung ist eröffnet.
Diese gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1 DS‑GVO), sofern keine Bereichsausnahme nach Art. 2 Abs. 2 DS‑GVO vorliegt.
Die Videoaufnahmen aus den Zügen der Klägerin sind als personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO einzuordnen. Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Identifizierbar ist eine natürliche Person, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann (Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO). […]
bb) Letztlich kommt es auf die Frage der Identifizierbarkeit durch die Klägerin selbst aber nicht an. Denn es handelt sich bei den Videoaufnahmen in den Zügen der Klägerin jedenfalls infolge der möglichen Identifizierung durch Dritte in Gestalt der Strafverfolgungsbehörden um personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO – unabhängig davon, ob man für die Zurechnung von deren Erkenntnismitteln einen absoluten (vgl. (1)) oder relativen Ansatz (vgl. (2)) verfolgt. […]
c) Der Anspruch des Beigeladenen auf Herausgabe der Videoaufnahmen ist jedoch gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO ausgeschlossen.
Ist für die Zwecke, für die ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet, die Identifizierung der betroffenen Person durch den Verantwortlichen nicht oder nicht mehr erforderlich, so ist dieser nicht verpflichtet, zur bloßen Einhaltung dieser Verordnung zusätzliche Informationen aufzubewahren, einzuholen oder zu verarbeiten, um die betroffene Person zu identifizieren (Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO). Kann der Verantwortliche in diesen Fällen nachweisen, dass er nicht in der Lage ist, die betroffene Person zu identifizieren, so unterrichtet er diese hierüber, sofern möglich (Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO). In diesen Fällen finden die Art. 15 bis 20 keine Anwendung, es sei denn, die betroffene Person stellt zur Ausübung ihrer in diesen Artikeln niedergelegten Rechte zusätzliche Informationen bereit, die ihre Identifizierung ermöglichen (Art. 11 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO). Der Verantwortliche darf die Auskunft verweigern, wenn er glaubhaft macht, dass er – weiterhin – nicht in der Lage ist, die betroffene Person zu identifizieren (Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. aa) Die Videoüberwachung in der S-Bahn unterfällt dem Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO. Die Klägerin verarbeitet durch die Aufnahmen personenbezogene Daten (vgl. a)), ohne dass es ihr – vorbehaltlich konkreter Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Vorgänge – auf die Identifizierung der aufgezeichneten Personen ankäme. Solche Datenverarbeitungen ohne gezielten Personenbezug erfasst Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO (vgl. zur Videoüberwachung als Anwendungsfall des Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO EDPB, Leitlinien zu den Rechten der betroffenen Person – Auskunftsrecht, Version 2.1 [28.03.2023], Rn. 61; Klabunde, in: Ehmann/Selmayr, DS‑GVO, 3. Aufl. 2024, Art. 11 Rn. 24; Plath, DS‑GVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 17).
bb) Die Klägerin hat nachgewiesen, dass sie „nicht in der Lage ist“, den Beigeladenen auf den begehrten Videoaufzeichnungen zu identifizieren (vgl. Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO). Sofern Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO eine „Glaubhaftmachung“ voraussetzt, ist damit jedenfalls kein strengerer Maßstab für die Darlegung der Nicht-Identifizierbarkeit als mit dem Erfordernis des „Nachweises“ in Art. 11 Abs. 2 DS‑GVO verbunden (vgl. zum Verhältnis der Normen Veil, in: Gierschmann, DS‑GVO, 2018, Art. 11 Rn. 54 ff.; Paal/Pauly/Paal/Hennemann, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 12 DS‑GVO Rn. 48 ff.; Simitis/ Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Dix, DatenschutzR, 2. Aufl. 2025, Art. 12 DS‑GVO Rn. 24).
(1) Dabei ist für die Identifizierbarkeit im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 DS‑GVO – anders als bei der Frage, ob überhaupt personenbezogene Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO vorliegen (vgl. a)) – allein auf den Organisationskreis des Verantwortlichen abzustellen (vgl. Schwartmann/Jaspers/Thüsing/ Kugelmann/Schwartmann/Klein/Peisker, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 15 DS‑GVO Rn. 65; Spiecker gen. Döhmann u.a./Carmichael u.a., General Data Protection Regulation, 1. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 7; Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Hansen, DatenschutzR, 2. Aufl. 2025, Art. 11 DS‑GVO Rn. 34). Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO betrifft Fälle, in denen zwar der objektive Personenbezug besteht – ansonsten wäre der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung schon nicht eröffnet (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO; Gierschmann/Veil, DS‑GVO, 2018, Art. 11 Rn. 45) –, der Verantwortliche aber subjektiv auf den Personenbezug verzichtet, ihn also mit den ihm unmittelbar zur Verfügung stehenden Mitteln nicht selbst herstellen kann (vgl. Gola/Heckmann/Gola, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 11 DS‑GVO Rn. 1, 5; Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann/ Schwartmann/Klein/Peisker, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 15 DS‑GVO Rn. 65). Insbesondere die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden finden daher i.R.d. Art. 11 DS‑GVO keine Berücksichtigung, da die Klägerin hierauf nicht für Zwecke der Erfüllung von Auskunftsansprüchen zurückzugreifen vermag.
Für die Frage der Identifizierbarkeit gemäß Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO kommt es nicht darauf an, welche Maßnahmen die Klägerin theoretisch – im Sinne einer faktischen Realisierbarkeit – hätte ergreifen können, um den Beigeladenen auf den Videoaufnahmen ausfindig zu machen. Vielmehr ist darauf abzustellen, welcher Identifizierungsaufwand dem Verantwortlichen im Einzelfall zumutbar ist (vgl. zur Zumutbarkeitsschwelle i.R.v. Art. 11 Abs. 2 DS‑GVO: EDPB, Leitlinien zu den Rechten der betroffenen Person – Auskunftsrecht, Version 2.1 [28.03.2023], Rn. 61; Plath, DS‑GVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 9: Plath/Kamlah, DS‑GVO/BDSG/ TTDSG, 4. Aufl. 2023, Art. 15 DS‑GVO Rn. 19; Kühling/Buchner/ Weichert, DS‑GVO/BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 11 DS‑GVO Rn. 13; Spiecker gen. Döhmann u.a./Carmichael u.a., General Data Protection Regulation, 1. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 20; Taeger/Gabel/Lee-Wunderlich, DS‑GVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 11 DS‑GVO Rn. 14; Schaffland/Wiltfang/Schaffland/Holthaus, DS‑GVO/BDSG [Oktober 2024], Art. 11 DS‑GVO Rn. 1a; Steinrötter, in: BeckOK/IT-Recht [1.1.2023] Art. 12 DS‑GVO Rn. 27). Die Datenschutz-Grundverordnung bringt verschiedentlich zum Ausdruck, dass im Rahmen von Art. 11 Abs. 2 DS‑GVO eine solche wertende Verhältnismäßigkeit anstelle einer reinen Machbarkeitsbetrachtung anzustellen ist. Bereits Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO, der die Konfliktlage zwischen Betroffenenrechten und Datensparsamkeit dahingehend auflöst, dass bei fehlender Erforderlichkeit der Identifizierung der betroffenen Person durch den Verantwortlichen grundsätzlich auf zusätzliche Datenerhebungen allein zum Zweck der Erfüllung eines Auskunftsanspruchs zu verzichten ist, spricht dagegen, dass der Verantwortliche alle denkbaren Maßnahmen zur Identifizierung ohne Rücksicht auf den damit verbundenen Aufwand und Nutzen ergreifen muss. Die Ausübung der Rechte zum Schutz personenbezogener Daten steht zudem generell unter einem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt (vgl. ErwG Nr. 4 DS‑GVO). Eine Begrenzung auf „vertretbare“ Mittel zur Identifizierung (vgl. ErwG Nr. 64 DS‑GVO) erscheint auch insofern sachgerecht, als auf diesem Wege Wertungswidersprüche zu den Maßstäben für die Herstellung des Personenbezugs im Rahmen von Art. 4 Nr. 1 DS‑GVO vermieden werden (parallele Maßstäbe ansetzend Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann/Schwartmann/ Schneider, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 12 Rn. 46 f.): Denn für die Frage der Anwendbarkeit der Datenschutz-Grundverordnung erkennt der Europäische Gerichtshof an, dass es nur auf die „nach allgemeinem Ermessen“ und „vernünftigerweise“ – nicht aber alle hypothetisch einsetzbaren – Mittel ankommt (vgl. a); s. auch ErwG Nr. 26 DS‑GVO). Auch der Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c) DS‑GVO) spricht gegen eine Pflicht, die Datenverarbeitung so zu organisieren, dass eine Verknüpfung zwischen den erhobenen Daten und den jeweiligen Betroffenen allein für Zwecke der Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO hergestellt werden kann oder aufrecht erhalten bleibt. Vielmehr dürfte es gerade im Interesse der Betroffenen sein, dass Zugriffs- und Identifizierungsmöglichkeiten des Verantwortlichen beschränkt sind und bleiben (vgl. Kühling/Buchner/Weichert, DS‑GVO/BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 11 DS‑GVO Rn. 1b; Sydow/Marsch/Greve, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 12 DS‑GVO Rn. 23; Spiecker gen. Döhmann u.a./Carmichael u.a., General Data Protection Regulation, 1. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 15; in diese Richtung auch Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann/ Schwartmann/Klein/Peisker, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 15 DS‑GVO Rn. 65). Kein Verantwortlicher sollte dazu gezwungen sein, deutlich gefährdungsträchtigere Verfahren im Umgang mit personenbezogenen Daten anzuwenden, nur um Auskunftsersuchen erfüllen zu können (vgl. Britz/ Breyer, VersR 2020, 65 [69]). Sofern Beklagte und Beigeladener unter Bezug auf die Maßgaben zur Erleichterung der Wahrnehmung der Betroffenenrechte in Art. 12 Abs. 2 S. 1 und Art. 25 Abs. 1 DS‑GVO eine Pflicht des Verantwortlichen annehmen wollen, seine Datenverarbeitung unter Einsatz entsprechender Ressourcen so zu organisieren, dass sie die umfassende, unkomplizierte und fristgerechte Auskunftserteilung ermöglicht, verfangen diese Einwände nicht für die der eigentlichen Auskunft vorgelagerte Frage der Identifizierbarkeit im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 DS‑GVO. Dies erkennt auch Art. 25 Abs. 1 DS‑GVO insofern an, als er eine den Grundsätzen der Datenminimierung Rechnung tragende organisatorische und technische Ausgestaltung der Datenschutzmechanismen einfordert (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. c) DS‑GVO). Eine solche kann dazu führen, dass die Identifizierbarkeit von Betroffenen nicht mehr mit verhältnismäßigem Aufwand möglich und damit ihr Auskunftsrecht eingeschränkt wird, ohne dass hierin ein datenschutzrechtlicher Verstoß zu erblicken wäre, wie Art. 11 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 12 Abs 2 S. 2 DS‑GVO klarstellen. Auch der Grundsatz der Speicherbegrenzung in Art. 5 Abs. 1 lit. e DS‑GVO, wonach Daten in einer Form gespeichert werden müssen, „die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist“, weist darauf hin, dass Datenschutzkonzepte dem Erforderlichkeitsprinzip unterliegen und nicht darauf ausgelegt sein müssen, binnen der Speicherfrist angebrachten Auskunftsersuchen trotz fehlender Identifizierbarkeit ohne Weiteres Rechnung tragen zu können.
(2) Auf Basis dieser Maßstäbe steht das Datenschutzkonzept der Klägerin für den Umgang mit den Videoaufnahmen aus der S-Bahn der zumutbaren Identifizierbarkeit des Beigeladenen gemäß Art. 11 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO entgegen.
Die Klägerin vermag als Folge ihres Datenschutzkonzepts keine Einsicht in die Videoaufzeichnungen zu nehmen. Zu einer Abkehr von ihrer Datenschutzpraxis zur Identifizierung des Beigeladenen war sie nicht verpflichtet. Das mit der Beklagten abgestimmte Datenschutzsystem der Klägerin, das auch Gegenstand der durch die Länder Berlin und Brandenburg ausgeschriebenen Verkehrsverträge war, ist nicht Ausdruck unzureichender Organisation oder verfolgt das Ziel, Auskunftsansprüche leerlaufen zu lassen. Es sichert vielmehr gerade ein hohes Datenschutzniveau, indem es den Wertungen der Datenschutz-Grundverordnung sowie den Rechten und Freiheiten der von der Datenverarbeitung betroffenen Personen Rechnung trägt. Die dezentrale Speicherung der Aufnahmen, die Sicherung der Datenträger gegen unbefugte Entnahme, der mehrstufige Prozess zur Auslese der Datenträger an einem speziell geschützten Arbeitsplatz, die Autorisierung nur weniger Personen zur Bearbeitung der Daten sowie deren limitierte Zugriffsrechte ohne die Möglichkeit der Einsichtnahme, die eng begrenzte Speicherdauer und die Auswertung allein auf Anforderung der Strafverfolgungsbehörden bilden zentrale Bestandteile des Datenschutzkonzepts. Dieses minimiert die Eingriffe und Gefährdungen im Hinblick auf die personenbezogenen Daten der Beschäftigten der Klägerin und ihrer täglich hunderttausenden Kunden.
Während die zeitlich, technisch, personell und organisatorisch komplexe physische Entnahme der Datenträger (aus dem sich im Betrieb befindenden Zug) und die Extrahierung der relevanten Videosequenz bei Auskunftsanfragen Betroffener nach Art. 15 DS‑GVO den Arbeitsschritten im Rahmen der Bereitstellung von Videoaufnahmen für die Strafverfolgungsbehörden entspricht und damit „nur“ zusätzlichen – wenn auch durchaus beachtlichen – Aufwand bedeutete, hätte die Identifizierung des Beigeladenen vorausgesetzt, dass die Klägerin dieses kohärente und datenschutzrechtlichen Grundprinzipien Rechnung tragende Konzept in seinen wesentlichen Bestandteilen aufgibt und die eigenen Identifizierungsmöglichkeiten erheblich erweitert. Dies würde die Ziele der Datenschutz-Grundverordnung konterkarieren, denn Resultat wäre eine deutliche Absenkung des Datenschutzniveaus und eine gewichtige Zunahme umfangreicher und sensibler Datenverarbeitungsprozesse: Da die Einsichtnahme und Auswertung nicht mehr nur durch die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch seitens der Klägerin selbst erfolgen müsste, hätte sie die technischen Voraussetzungen hierfür schaffen müssen, da es die Konfiguration der Software derzeit weder ihr noch dem beauftragten Dienstleister erlaubt, die verschlüsselten Videosequenzen zu betrachten (vgl. § 4 Abs. 8 S. 2 BetrV). Zudem wären weitere personelle Kapazitäten erforderlich, da das Personal des Drittanbieters bisher nur für die die Extrahierung betroffener Sequenzen bei Anfragen der Strafverfolgungsbehörden beauftragt ist (vgl. §§ 3, 6 Abs. 2 BetrV). Ferner wären umfangreiche Änderungen der Betriebsvereinbarung erforderlich gewesen, die eine Entnahme und Auswertung der Videoaufnahmen derzeit nur auf Anfrage der Strafverfolgungsbehörden zulässt. Auch wenn die Maßgaben der Betriebsvereinbarung nicht unmittelbar den Rechten des Beigeladenen entgegengehalten werden können, ist deren Abschluss zum Schutz der personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext ausdrücklich anerkannt (vgl. Art. 88 Abs. 1 DS‑GVO, ErwG Nr. 155 DS‑GVO) und der rechtliche Anpassungsbedarf für die Frage der zumutbaren Identifizierungsmaßnahmen ebenfalls zu berücksichtigen. Indem ein Zug mit 40 Videokameras ausgestattet ist, wäre zur Identifikation des Beigeladenen auf Basis seiner Angaben sodann – jedenfalls potenziell – die Durchsicht zahlreicher Aufnahmen sowie ggf. der Einsatz einer Gesichtserkennungssoftware erforderlich gewesen (deren Einsatz § 9 Abs. 1 BetrV ebenfalls untersagt). Mit diesen Maßnahmen wäre zudem zwingend eine längere Speicherung der Aufnahmen einhergegangen, obwohl deren automatische Löschung im Ringspeicherverfahren nach 48 Stunden gerade den Empfehlungen der europäischen Datenaufsicht (EDPB, Leitlinien zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte, Version 2.0 [29.01.2020], Rn. 121; so auch DSK, Kurzpapier Nr. 15 – Videoüberwachung nach der Datenschutz-Grundverordnung, S. 3), den Maßgaben in § 20 Abs. 4 S. 2 BlnDSG sowie der Abstimmung des Datenschutzkonzepts zwischen der Klägerin und der Beklagten entspricht.
Diese umfangreiche Durchsicht und Analyse – nicht mehr nur durch die Strafverfolgungsbehörden und in eng umgrenzten Ausnahmefällen –, die Abkehr von den Schutzmechanismen des bestehenden Konzepts sowie die längere Speicherung der personenbezogenen Daten zur Identifizierung des Beigeladenen – mit im Übrigen ungewissen Erfolgsaussichten seiner Identifizierung – widerspräche nicht nur den Grundsätzen der Datensparsamkeit und -minimierung (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DS‑GVO), sondern ginge auch mit gewichtigen Eingriffen in die Grundrechte der weiteren Fahrgäste einher (vgl. Art. 7, Art. 8 GrCh), die durch Verpixelung oder anderweitige Unkenntlichmachung zwar gemildert, aber nicht vermieden werden können. Der Sinn und Zweck von Art. 11 Abs. 1 DS‑GVO besteht aber gerade darin, solche datenschutzrechtlich negativen Implikationen einer aus Sicht des Verantwortlichen gar nicht erforderlichen Identifikation nur zum Zweck der Erfüllung des Auskunftsrechts aus Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO zu verhindern. Indem Art. 11 DS‑GVO anerkennt, dass Verantwortliche ihr Datenschutzsystem so organisieren, dass es als Folge hoher Datenschutzstandards der Identifizierung Betroffener entgegensteht (vgl. oben), kommt es für das Auskunftsbegehren des Beigeladenen nicht darauf an, dass die Klägerin theoretisch die Möglichkeit gehabt hätte, die Datenverarbeitung anders zu gestalten, z.B. durch eine zentrale Speicherung der Videoaufnahmen mit jederzeitiger Einsichtnahmemöglichkeit (vgl. Schwartmann/ Jaspers/Thüsing/Kugelmann/Schwartmann/Klein/Peisker, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 15 DS‑GVO Rn. 65).
Auch wenn der Auskunftsanspruch des Art. 15 DS‑GVO nicht davon abhängig ist, dass mit seiner Ausübung bestimmte Zwecke verfolgt werden (vgl. EuGH, Urt. v. 26.10.2023 – C-307/22 –, juris Rn. 52; Schemmer, ZGI 2024, 205 [206]), bietet die Frage der Zumutbarkeit von Identifizierungsmaßnahmen i.R.d. Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO Raum für eine Abwägung von Aufwand und Folgen einer Identifizierung mit den Informationsbelangen des Auskunftssuchenden. Danach ist das Transparenzinteresse des Beigeladenen vorliegend als äußerst gering einzuordnen. Der Beigeladene war sich der Datenverarbeitung bereits im Moment seiner Zugfahrt am 6. Oktober 2020 bewusst, wie sein Auskunftsantrag unmittelbar nach Fahrtende belegt. Die Klägerin hat dargelegt, dass die Kameras und die Hinweise auf die Videoüberwachung in ihren Zügen gut sichtbar angebracht sind (vgl. Anlage K 5; „Regionales Betreiberkonzept Videoaufzeichnung“, S. 8 und Anlage 4). Sein Antrag diente nach eigenen Angaben auch nicht dazu, Art, Umfang, Richtigkeit oder Vollständigkeit einer Datenverarbeitung zu klären, um ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu können (vgl. ErwG Nr. 63 S. 1 DS‑GVO), sondern erfolgte zunächst ohne spezifischen Anlass. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Herausgabe der Aufnahme erforderlich gewesen wäre, um sein Recht auf Berichtigung, Löschung („Recht auf Vergessenwerden“), Einschränkung der Verarbeitung sowie Widerspruch gegen die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten auszuüben (vgl. Art. 16-18, 21 DS‑GVO; zu diesen Zwecken des Auskunftsrechts EuGH, Urt. v. 04.05.2023 – C-487/21 –, juris Rn. 35; Urt. v. 12.01.2023 – C-154/21 –, juris Rn. 37 f.). Sofern der Beigeladene angibt, mittlerweile an den – auch nach der umfänglich erfolgten Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DS‑GVO noch offenen – Details zur Art der Datenverarbeitung (z.B. Winkel und Auflösung der Aufnahmen) interessiert zu sein, bleibt unklar, inwiefern diese Angaben für die Verwirklichung seiner Rechte und Freiheiten von Belang sind. Dies gilt insbesondere deshalb, da nach dem Datenschutzkonzept der Klägerin grundsätzlich keinerlei Einsicht in diese Aufnahmen stattfinden und deren Löschung nach 48 Stunden erfolgen wird, so dass der Beigeladene – unabhängig von der Höhe der Auflösung der Videoaufzeichnungen – keine Auswertung seiner Daten durch den Verantwortlichen oder Dritte fürchten muss. Sollte der Beigeladene wiederum möglicherweise auf einer von den Strafverfolgungsbehörden angefragten Aufzeichnung zu sehen sein, wäre er hierüber nach Art. 15 Abs. 1 lit. c) DS‑GVO zu informieren gewesen und weitere Auskünfte (ggf. auch nach Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO) wären – ohne Entwertung des Datenschutzkonzepts und den damit einhergehenden gewichtigen Bedenken – möglich gewesen. Zudem stellt die Datenverarbeitung im Anwendungsbereich des Art. 11 DS‑GVO infolge der nur abstrakten Personenbeziehbarkeit bei fehlender Erforderlichkeit einer konkreten Identifizierung durch den Verantwortlichen schon grundsätzlich nur einen geringen Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar (vgl. Steiger, ZD 2024, 143 [144]). Der Verordnungsgeber hat anerkannt, dass diesen Daten nur ein geringes Gefährdungspotenzial innewohnt und der Betroffene weniger schutzbedürftig ist. Die Belange des Beigeladenen rechtfertigen daher nicht die gewichtigen Bedenken begegnende und erheblichen Aufwand hervorrufende Aufgabe des Datenschutzkonzepts der Klägerin. Dies führt zur Annahme der Unzumutbarkeit seiner Identifizierung gemäß Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO.
cc) Indem die Klägerin nicht zur Identifizierung des Beigeladenen in der Lage war, scheidet dessen Anspruch auf Herausgabe der begehrten Videoaufzeichnungen nach Art. 15 Abs. 3 DS‑GVO aus (vgl. Art. 11 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 S. 2 DS‑GVO). Sofern die Beklagte dem entgegenhält, dass dieser Anspruchsausschluss eine „Unterrichtung“ gemäß Art. 11 Abs. 2 S. 1 DS‑GVO und die Anforderung weiterer Informationen durch die Klägerin vorausgesetzt hätte, dringt sie hiermit nicht durch. Der Zweck der Unterrichtungspflicht besteht darin, der betroffenen Person die Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob sie durch die Zulieferung weiterer Daten doch eine Identifizierung ermöglichen möchte (vgl. Plath, DS‑GVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl. 2023, Art. 11 DS‑GVO Rn. 14). Die fehlende Identifizierbarkeit des Beigeladenen beruht vorliegend jedoch nicht auf unzureichenden Angaben seinerseits, sondern der konkreten Ausgestaltung des Datenschutzkonzepts der Klägerin. Der Beigeladene hätte die Klägerin folglich nicht durch sein Zutun in die Lage versetzen können, doch einen Personenbezug mit zumutbaren Mitteln herzustellen (vgl. Schwartmann/ Jaspers/Thüsing/Kugelmann/Schwartmann/Klein/Peisker, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl. 2024, Art. 15 DS‑GVO Rn. 66 zu Fallgruppen, in denen zusätzliche Angaben eine Identifizierung des Betroffenen infolge fehlender Voraussetzungen beim Verantwortlichen nicht ermöglichen). Hierüber hat die Klägerin den Beigeladenen mit E-Mail vom 6. Oktober 2020 und Schreiben vom 22.10.2020 unterrichtet. […]