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Urteil : Zulässigkeit einer Verarbeitung von Kundendaten zur Rückgewinnung nach Vertragsende : aus der RDV 5/2025, Seite 276 bis 281

(VG Bremen, Urteil vom 23. April 2025 – 4 K 2873/23 –)

Rechtsprechung
Lesezeit 16 Min.
  1. […]
  2. Die nachvertragliche Werbung in Form von Haustürbesuchen kann ein berechtigtes Interesse darstellen. Sie verstößt nicht gegen die Rechtsordnung, sondern wird von dieser im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG gebilligt. Insbesondere kann eine Kündigung allein nicht bewirken, dass für den Werbenden ersichtlich ist, dass weitere Werbung unerwünscht ist. Insoweit muss hinzukommen, dass der Empfänger seinen entgegenstehenden Willen geäußert hat.

Aus den Gründen:

bb) Die Daten sind auf rechtmäßige Weise verarbeitet worden, vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. a) 1. Alt. DS‑GVO. Es ist als Beurteilungszeitpunkt auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen (1). Die Klägerin kann die Verarbeitung zu Werbezwecken in Form von Haustürwerbung auf Art. 6 Abs. 1 lit. f) i.V.m. Abs. 4 DS‑GVO stützen. Der verfolgte Sekundärzweck ist mit dem Primärzweck, zu dem die Daten ursprünglich erhoben wurden, gem. Art. 6 Abs. 4 DS‑GVO vereinbar (2). Bezüglich der Verarbeitung zu Werbezwecken in Form des Postversands handelt es sich um einen Primärzweck gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO (3). Weiter sind die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO (und für die Haustürwerbung i.V.m. Art.  6 Abs.  4 DS‑GVO) erfüllt (4). […]

(2) Es handelt sich zur Überzeugung der Kammer bei der Verarbeitung zu Werbezwecken in Form von Haustürwerbung um eine Verarbeitung zu einem Sekundärzweck gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) i.V.m. Abs. 4 DS‑GVO. Dies gilt sowohl für Verträge, die ab dem 25.05.2018 abgeschlossen wurden (a) als auch für Verträge, die davor abgeschlossen wurden (b). Der verfolgte Sekundärzweck ist mit dem Primärzweck, zu dem die Daten ursprünglich erhoben wurden, gem. Art. 6 Abs. 4 DS‑GVO vereinbar (c).

Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich bei Art. 6 Abs.  4 DS‑GVO um eine Auslegungsregel für die Ermächtigungsgrundlagen des Art. 6 Abs. 1 DS‑GVO. Art. 6 Abs. 4 DS‑GVO stellt keine eigene Ermächtigungsgrundlage dar. Die Regelungssystematik und der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 DS‑GVO sprechen dafür, dass allein der Kompatibilitätstest des Abs.  4 eine zweckändernde Datenverarbeitung noch nicht zu einer rechtmäßigen Verarbeitung machen kann. Nach Art.  6 Abs.  1 DS‑GVO ist eine Datenverarbeitung nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der Bedingungen nach Abs. 1 lit. a)-f) erfüllt ist; einen Vorbehalt hinsichtlich Art. 6 Abs.  4 DS‑GVO macht Art.  6 Abs.  1 DS‑GVO nicht. Art.  6 Abs.  4 DS‑GVO bezieht sich lediglich auf die Vorgabe der Zweckbindung einer Datenverarbeitung nach Art.  5 Abs.  1 lit. b) DS‑GVO (Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DS‑GVO, 4. Aufl. 2024, Art. 6, Rn. 183; in die Richtung auch: EuGH, Urt. v. 20.10.2022 – C-77/21, GRUR-RS 2022, 28068, Rn. 34). […]

(a) Bei der Verarbeitung von Verträgen, die ab dem 25.05.2018 bis zum Erlass des Bescheides abgeschlossen wurden, handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts in Bezug auf die nachvertragliche Haustürwerbung um eine Verarbeitung zu einem Sekundärzweck.

Zur Überzeugung des Gerichts sind die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen, dass über ein berechtigtes Interesse bereits bei Vertragsschluss ausreichend nach Art. 13 Abs.  1 lit.  d) DS‑GVO informiert werden muss (vgl. EuGH, Urt. v. 09.01.2025 – C-394/23, juris, Rn. 46) in Bezug auf die nachvertragliche Haustürwerbung nicht eingehalten. Denn im Zusammenhang mit dem Begriff des berechtigten Interesses wurde nicht ausreichend auf Haustürwerbung eingegangen. Die allgemeinen Datenschutzinformationen der Klägerin im Stand vom 01.09.2020 und 25.05.2018 führen dazu zunächst unter Ziffer 1. des Punktes „D. Datenverarbeitung aufgrund unserer berechtigten Interessen (Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO)“ aus, dass die Klägerin personenbezogenen Daten auch zur Werbung mit weiteren Produkten und Dienstleistungen nutzt. Dabei ist der Kommunikationskanal allerdings ausdrücklich auf den Postweg begrenzt. Dem ergänzend folgt unter der Überschrift „E. Datennutzung aufgrund Ihrer Einwilligung (Art.  6 Abs.  1 lit.  a) DS‑GVO)“ die Erklärung, dass, vorbehaltlich des Postversandes, eine werbliche Kontaktaufnahme nur über die vom Kunden eingewilligten Kanäle vorgenommen wird. Als Zweck der Datenverarbeitung wird dabei unter anderem benannt, dass im Falle des Vertragsendes eine Kontaktaufnahme mit Werbung erfolgt. Dies bezog sich nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung aber lediglich auf ein Opt-In-Verfahren“, nicht auf die hier streitgegenständlichen Werbekanäle. Dem schließt sich die Kammer an, da der Begriff „Kanal“ zur Überzeugung der Kammer nicht auf Haustürwerbung zu beziehen ist. Auf die nach Vertragsbeendigung stattfindende Kontaktaufnahmen zu Werbezwecke nimmt ebenfalls der Unterpunkt G. Ziffer 1 Bezug, nach welchem die Weitergabe der personenbezogenen Daten an Vertriebspartner und Dienstleister zur gezielten Ansprache, zum Abschluss, für die Durchführung und nach Beendigung des Vertrags sowie zur Provisionsabwicklung vorgesehen ist. Allerdings steht dieser Abschnitt nicht in einem inhaltlichen Zusammenhang zur Verarbeitung zu berechtigten Interessen gem. Art 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO. Zuletzt befindet sich unter der Überschrift „I. Speicherdauer und Festlegung der Kriterien für die Festlegung der Dauer“ die Information, dass die Postanschrift für einen Zeitraum von maximal 24 Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses genutzt wird und Rechtsgrundlage für die Verarbeitung dabei eine Interessenabwägung sei, wobei das Interesse der Klägerin darin bestehe, die ursprünglichen Kunden im Rahmen von Reakquisebemühungen erneut von den Produkten und Services zu überzeugen. Hier spricht gegen eine ausreichend klare Information über den Primärzweck, dass der Begriff „Postanschrift“ verwendet wird und dieser zur Überzeugung der Kammer in Zusammenschau mit den Ausführungen unter „D.“, so auszulegen ist, dass Reakquisebemühungen nur über den Postweg erfolgen sollen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass eine Pflicht zur kleinteiligen umfassenden Information über jedes Detail der Verarbeitung im Voraus nicht besteht, sondern die betroffene Person nur voraussehen können muss, für welche Zwecke ihre Daten verarbeitet werden, handelt es sich bei der Unterscheidung von Postversand und Haustürwerbung zur Überzeugung der Kammer um eine so relevante Information, dass bei dessen Nicht-Benennung keine ausreichende Vorhersehbarkeit des Betroffenen vorliegt.

Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es sich bei der nachträglichen Werbung auch nicht um ein lediglich hypothetisches Interesse. Es war vielmehr bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten vorhanden (vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2019 – C-708/18, juris, Rn. 44). Es reicht aus, wenn der Zweck zumindest bestimmbar war (in die Richtung: BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, NJW 1984, 419). Zur Überzeugung der Kammer steht der Konkretisierung des Interesses nicht entgegen, wenn dies noch von dem Eintritt weiterer Faktoren (hier einer eventuellen Kündigung) abhängt. Denn für die Klägerin stand bei Erhebung der Daten sicher fest, dass es im Fall einer Kündigung beabsichtigt ist, Werbemaßnahmen zur Rückgewinnung durchzuführen, ihr Interesse war somit entstanden. Dies hatte sie in der Vergangenheit bereits seit langem so durchgeführt. Es handelt sich folglich lediglich um eine Bedingung, nicht um einen hypothetischen „Vorratszweck“. […]

(c) Der verfolgte Sekundärzweck der nachvertraglichen Haustürwerbung ist mit dem Primärzweck, zu dem die Daten ursprünglich erhoben wurden, gem. Art.  6 Abs.  4 DS‑GVO vereinbar.

Der EuGH hat im Zusammenhang mit den Kriterien des Art. 6 Abs. 4 HS 2 DS‑GVO die Notwendigkeit „einer konkreten, kohärenten und ausreichend engen Verbindung zwischen dem Zweck der Datenerhebung und der Weiterverarbeitung der Daten“ und einer Vergewisserung, dass die Weiterverarbeitung nicht von den legitimen Erwartungen der betroffenen Personen hinsichtlich der weiteren Verwendung ihrer Daten abweicht, hervorgehoben (BeckOK DatenschutzR/Albers/Veit, 51. Ed. 01.02.2025, DS‑GVO, Art. 6, Rn. 105).

Bei der hinreichend in den allgemeinen Datenschutzinformationen benannten Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken in Form des Postversands handelt es sich um einen Primärzweck gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO (siehe sogleich II. 1. a) bb) (3)), welcher hier als Anknüpfungspunkt herangezogen wird.

Zur Überzeugung der Kammer besteht eine enge Verbindung i.S.d. Art 6 Abs.  4 lit.  a) und b DS‑GVO zwischen dem Zweck der nachvertraglichen Werbung per Postversand und der nachvertraglichen Werbung per Haustürwerbung. Die Kriterien in Art 6 Abs. 4 lit. a) und b) DS‑GVO verweisen beide auf die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person hinsichtlich einer Weiterverarbeitung (BeckOK DatenschutzR/Albers/Veit, 51. Ed. 01.02.2025, DS‑GVO, Art. 6, Rn. 105). Die enge Verbindung folgt daraus, dass beide auf Reakquise gerichtet sind und nach den Angaben der Klägerin die Haustürbesuche nur durchgeführt würden, wenn die anderen möglichen Maßnahmen zur Reakquise nicht erfolgversprechend seien. Zur Überzeugung der Kammer ist der Haustürbesuch zwar aus den allgemeinen Datenschutzinformationen der Klägerin, wie oben ausgeführt, nicht hinreichend klar ersichtlich. Trotzdem ist aber anzumerken, dass in Unterpunkt G. der allgemeinen Datenschutzinformationen auch die Weitergabe an Vertriebspartner zur gezielten Ansprache angesprochen wird, wenn auch nicht im Zusammenhang mit den berechtigten Interessen. Zur Überzeugung der Kammer kann ein durchschnittlicher (ehemaliger) Kunde der Klägerin zwar nach den allgemeinen Datenschutzinformationen nicht unmittelbar voraussehen, dass Haustürbesuche erfolgen können, es dürfte aber im Rahmen des vernünftigerweise Erwartbarem liegen, dass die Werbung auch durch persönliche Ansprache erfolgen kann. Ein durchschnittlicher Kunde rechnet zur Überzeugung der Kammer damit, dass seine Daten auf verschiedenen Wegen zu Werbezwecken verwendet werden. Insbesondere die Haustürwerbung ist kein neues Phänomen, sondern seit langem in der Bevölkerung bekannt. Dass die Daten auch in einem begrenzten Zeitraum nach Vertragsbeendigung verwendet werden, dürfte dem Kunden regelmäßig auch bekannt und damit vorhersehbar sein. Weiter werden keine besonders sensiblen Daten, insbesondere keine Daten nach Art. 9 und 10 DS‑GVO verwertet, vgl. Art. 6 Abs. 4 lit. c) DS‑GVO. Es sind auch keine schweren Folgen für die Betroffenen gem. Art 6 Abs. 4 lit. d) DS‑GVO ersichtlich, da es sich bei einem Haustürbesuch höchstens um eine wenige Sekunden bis wenige Minuten dauernde Störung handelt. Als Garantie i.S.d. Art. 6 Abs. 4 lit. e) DS‑GVO kann hier das Widerspruchsrecht der ehemaligen Kunden gem. Art 21 DS‑GVO betrachtet werden. […]

(4) Sämtliche Zwecke lassen sich (teilweise ergänzend zu den Voraussetzungen des Art.  6 Abs.  4 DS‑GVO) unter die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO subsumieren. […]

(a) Die Klägerin verfolgt mit der Direktwerbung nach Vertragsbeendigung ein berechtigtes Interesse. […]

Bei der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse vorliegt, dürfen auch Vorgaben des nationalen Rechts berücksichtigt werden. So hat der EuGH es wiederholt als Sache des vorlegenden Gerichts angesehen, das Bestehen eines solchen Interesses im Einzelfall „unter Berücksichtigung des anwendbaren Rechtsrahmens“ und aller Umstände der Rechtssache zu beurteilen. Aus dem jeweiligen Kontext der genannten Entscheidungen lässt sich schließen, dass der EuGH von dem „anwendbaren Rechtsrahmen“ auch das nationale Recht mitumfasst sieht (BVerwG, Urt. v. 29.01.2025 – 6 C 3.23, BeckRS 2025, 608, Rn. 51 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 12.09.2024 – C-17 und 18/22, NJW 2024, 3637, Rn. 56 f.).

Die Werbung in Form der Haustürbesuche verstößt nicht gegen die Rechtsordnung, sondern wird von dieser im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG gebilligt (dazu auch: BVerwG, Urt. v. 29.01.2025 – 6 C 3.23, BeckRS 2025, 608, Rn. 50 ff.). Vertreterbesuche liegen im Rahmen einer traditionell, auch heute noch zulässigen gewerblichen Betätigung. Insoweit ist bestätigte Rechtsprechung, dass auf Grund der historischen Gegebenheiten, welche insoweit auch den Schutz des erworbenen Besitzstandes rechtfertigen, Vertreterbesuche, bei denen der Verbraucher ohne vorherige Verständigung im häuslichen Bereich angesprochen wird, grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig sind, sofern keine besonderen Umstände hinzukommen, welche die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs begründen (Seichter/Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., Stand: 12.12.2024, § 7 UWG, Rn. 55 ff.). In Bezug auf unangekündigte Haustürbesuche ist grundsätzlich kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 1 UWG zu sehen. Es fehlt an einer Unzumutbarkeit der Belästigung. Die zur Feststellung der Unzumutbarkeit i.S.v §  7 Abs.  1 UWGgebotene Interessenabwägung führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass die berechtigten Interessen der Verbraucher daran, vor der Haustürwerbung verschont zu bleiben, die Interessen der Beklagten, Haustürbesuche auch ohne Einwilligung oder Vorankündigung durchzuführen, grundsätzlich nicht überwiegen (KG Berlin, Urt. v. 01.12.2020 – 5 U 26/19, juris). Es sind auch keine Umstände ersichtlich, welche die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs im hier streitgegenständlichen Fall begründen würden. […]

(b) Die Datenverarbeitung ist zur Zweckerreichung erforderlich. Es ist erforderlich, die Daten über einen Zeitraum von 24 Monaten zu speichern und zu nutzen. […]

(aa) Die Auswahl des Adressatenkreises ist unter Datenschutzgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Die Erforderlichkeit wurde von der Klägerin nicht allein damit begründet, dass es sich bei der beabsichtigten Datenverarbeitung um die wirtschaftlich sinnvollste Alternative handelt. Das Interesse der Direktwerbung bei ehemaligen Kunden nach Vertragsbeendigung ist grundsätzlich berechtigt, auch im Wege der Haustürwerbung (s.o). Somit ist dieses Interesse hier zugrunde zu legen. Es ist nur zu prüfen, ob der Weg zur Verwirklichung dieses Interesse durch mildere, gleich geeignete Mittel möglich ist.

Hier war es der Klägerin nicht zuzumuten, ihre Werbung an jeden Bezieher von Strom zu richten, einschließlich der Kunden, welche sie bereits bediente. Dies begründet die Klägerin nachvollziehbar damit, dass es keinen Sinn ergebe, einen Kunden mit einem Produkt zu bewerben, welches dieser bereits über den Werbenden bezieht. Dies erachtet auch die Beklagte offenbar nicht als milderes Mittel, da sie die Datenverarbeitung nicht vollständig untersagt, sondern lediglich zeitlich verkürzt hat. Auch bezüglich der Datenverarbeitung hat die Klägerin plausibel dargelegt, dass eine Verarbeitung anonymisierter Daten bei Mehrfamilienhäusern nicht funktioniere und die Datenverarbeitung in der Form, dass ein „Positivlistenabgleich“, bei dem die Klägerin statt der Informationen zu nicht versorgten Zählern und Haushalten, die Informationen aller Bestandskunden an ihre Vertriebspartner weitergäbe, damit diese alle außer jenen ansprechen könnten, kein milderes Mittel darstellt. Denn eine solche Betrachtung würde missachten, dass in diesem Fall abermals Kundendaten, dann lediglich von den Bestandskunden anstatt von den Altkunden, gleichermaßen verarbeitet werden würden. Dem schließt sich die Kammer an. Die Klägerin zieht sich somit nicht darauf zurück, dass ihre Vorgehensweise effizienter oder wirtschaftlich sinnvoller ist. Sie begründet die Entscheidung mit datenschutzrechtlichen Erwägungen, denen sich die Kammer inhaltlich anschließt. Gleiches gilt für die nachvertragliche Werbung durch Postversand.

(bb) Weiter stellt sich ein Zeitraum von 24 Monaten ab Zeitpunkt der Vertragsbeendigung als gerade noch erforderlich dar. Eine Verkürzung auf sechs Monate stellt kein milderes, gleich geeignetes Mittel dar. Denn die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass es derzeit im Rahmen von Energieversorgungsverträgen üblich ist, dass eine Vertragslaufzeit von 12 bis 24 Monaten vereinbart wird. Vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit Zeit besteht regelmäßig keine Möglichkeit für den Kunden, den Vertrag bei dem Konkurrenzunternehmen vorzeitig zu beenden. Er wird eine Werbung erst dann beachten, wenn er den Nutzen eines etwaigen Vertragswechsels selbst erkennt und zeitnah herbeiführen kann. Insoweit stellt sich eine Werbung vor dem maßgeblichen ersten Kündigungszeitpunkt eines Vertrages als nicht gleich effektiv dar. Die Klägerin hat somit auch ein berechtigtes Interesse an der Speicherung für 24 Monate. […]

(c) Die Grundfreiheiten und Grundrechte der betroffenen Kunden überwiegen nicht das berechtigte Interesse der Klägerin. Dies gilt für sowohl für die Haustürwerbung als auch für den Postversand.

Es ist ausreichend, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS‑GVO zulässig ist, solange nicht die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person überwiegen. Eine Verarbeitung darf daher bei gleichwertigen Interessen (non liquet) stattfinden (SGola/ Heckmann/Schulz, DS‑GVO – BDSG, 3. Aufl. 2022, DS‑GVO, Art.  6, Rn.  62). Notwendig ist eine Abwägung der jeweiligen einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen, die grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt (EuGH, Urt. v. 04.07.2023 – C-252/21, GRUR 2023, 1131, Rn. 110). Dabei ergibt sich aus dem 47. ErwG der DS‑GVO, dass die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen gerade dann überwiegen können, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer solchen Verarbeitung rechnet (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-621/22, GRUR-RS 2024, 26137, Rn. 44 f.). Es ist zu fragen, ob für die Betroffenen zum Zeitpunkt der Erhebung die Verarbeitung zu dem fraglichen Zweck, gerade im Hinblick auf das Rechtsverhältnis, vorhersehbar war (vgl. Eßer/Kramer/von Lewsinki/Kramer, Auernhammer DS‑GVO/BDSG Kommentar, 8. Auflage 2023, Art. 6 DS‑GVO, Rn. 84). Neben den betroffenen Grundfreiheiten sind im Rahmen der Abwägung auch die Eingriffsintensität, die Art, der Inhalt sowie der Aussagekraft der verarbeiteten Daten, der Kreis der betroffenen Person(en), mögliche Aufgaben oder Pflichten, die Zwecke der Datenverarbeitung und die getroffenen Maßnahmen der Datensicherheit einzubeziehen (LG Stuttgart, Urt. v. 25.02.2022 – 17 O 807/21, BeckRS 2022, 4821, Rn. 24 f.).

Gemessen an diesem Maßstab spricht die Nähebeziehung zwischen den Kunden und der Klägerin für eine vernünftige Vorhersehbarkeit, wenn es um Marketingmaßnahmen des Unternehmens während des laufenden Vertrages geht. Regelmäßig, dabei kommt es auf die Sicht eines durchschnittlichen Kunden an, wird vernünftigerweise damit gerechnet werden, dass das Unternehmen die gewonnenen Daten für weitere Verkäufe nutzen wird (vgl. Theobald/Kühling/Bartsch, Strom- und Energiesteuern, 127. EL, Oktober 2024, 230. Datenschutz in Energieversorgungsunternehmen, Rn. 45). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es vorliegend um Werbemaßnahmen geht, welche nach Vertragsbeendigung stattfinden sollen. Insoweit ist ein schlichter Verweis auf eine grundsätzliche Vorhersehbarkeit von Werbemaßnahmen auf Grund eines Vertragsschlusses ausgeschlossen. Allerdings sind die nachvertraglichen Werbemaßnahmen hier im konkreten Fall, wie oben geprüft, für die ehemaligen Kunden erwartbar. Vernünftigerweise wird mit derartigen Reakquisemaßnahmen auch noch nach 24 Monaten gerechnet werden dürfen. Dem Beklagten folgend ist es korrekt, dass sich die Erwartung an eine erneute Kontaktaufnahme zu Werbemaßnahmen umso mehr verringern wird, je länger der letzte Kontakt zurückliegt. Insbesondere wird im Falle der Kündigung die Erwartung geringer sein, dass nunmehr im gleichen Umfang mit Produkten, wie im Vergleich zum laufenden Vertragsverhältnis, geworben werden wird. Der Kunde wird aber vernünftigerweise davon ausgehen, dass zumindest der Versuch etwaiger Reakquisebemühungen seitens des ursprünglichen Vertragspartners unternommen wird, denn auch einem durchschnittlichen Verbraucher ist es regelmäßig bekannt, dass ein Unternehmer seine Produkte langfristig vermarkten möchte und gerade auch im Falle einer Kündigung ein Interesse daran hegt, die ursprüngliche Vertragsbindung wieder aufzubauen

Dabei stellen sich 24 Monate aus Sicht eines objektiven Verbraucherhorizonts im Vergleich zu üblichen Verbrauchsgüterkäufen (z.B. über Gegenstände des täglichen Verbrauchs) zwar als außergewöhnlich lang dar, sie sind im Rahmen eines ursprünglichen Energielieferungsvertrages jedoch noch als vorhersehbar anzusehen. Denn dem durchschnittlichen Verbraucher ist regelmäßig bekannt, dass mit Verträgen über Energie oder Telekommunikation regelmäßig eine langwierige Vertragsbeziehung einhergeht. Dass eine Vertragsbeziehung im Rahmen von Energielieferungsverträgen dabei 12 bis 24 Monate beträgt, ist in diesem Rahmen marktüblich und dem durchschnittlichen ehemaligen Kunden, auf Grund des Vertragswechsels und eventuellen Vergleichsbemühungen, auch bekannt.

Es ist sogar nicht unvorhersehbar, dass Vertreter von Energielieferanten unangekündigte Hausbesuche zum Zwecke der Angebotsaufklärung unternehmen, obwohl noch nie ein geschäftlicher Kontakt zu diesen bestand. Somit gilt dies erst Recht für die Erwartung und Vorhersehbarkeit von Werbemaßnahmen nach Beendigung einer vertraglichen Beziehung.

Im zweiten Schritt überwiegen die Grundrechte und Grundfreiheiten der ehemaligen Kunden nicht das Verarbeitungsinteresse der Klägerin. So wiegt zunächst zu Lasten der Klägerin die Grundfreiheit der ehemaligen Kunden auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten gem. Art. 8 DS‑GVO. Die ehemaligen Kunden sind in der Weise betroffen, dass sie auch nach Kündigung des Vertragsverhältnisses weiterhin Adressat von Werbung sind und sich mit dieser u.a. im Rahmen von Haustürgeschäften oder Postversand beschäftigen müssen. Ihre Daten werden zur unvereinbarten Kontaktaufnahme genutzt. Dabei kann der Klägerin auch nicht gefolgt werden, dass sich die Werbung generell als gewünscht darstellt. Es wird allerdings nicht in Abrede gestellt, dass es einen Anteil an Kunden gibt, die auf eine nachvertragliche Ansprache mit günstigeren Vertragskonditionen hoffen. Trotzdem bleibt Werbung ein im Interesse des Werbenden stattfindendes Vorgehen, welches regelmäßig auf Kosten des Angeworbenen stattfindet (Zeitaufwand etc.). Dies gilt umso mehr, wenn sich mit einer Werbung unaufgefordert auseinandergesetzt werden muss und diese über einen zweijährigen Zeitraum möglich bleibt. […]